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Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
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Erschöpfung.
    Brandan Vard folgte einen Schritt hinter ihm. Sein Antlitz glich einer Maske, die jedoch nicht gänzlich die Reste desSchreckens und Grauens darunter zu verbergen vermochte. Er war etwas älter als ich und trug ein schlichtes Hemd und eine ebenso schlichte Hose, wenngleich der Stoff von offenkundig hoher Güte war. Ein großer, runder Goldanhänger baumelte an einer Kette um seinen Hals. Die Vorderseite zeigte ein Kuppelgebäude mit einer Turmspitze. Es war ein vertrautes Gebäude. Kurz runzelte ich die Stirn, dann erinnerte ich mich.
    Ich hatte dieses Gebäude von Cerrins Veranda aus gesehen, die den Hafen und die Kanäle von Venitte überblickt hatte. Cerrin hatte zu dem Bauwerk geschaut, als Venitte zum ersten Mal von den Chorl angegriffen worden war. Er hatte vorgehabt, sich dorthin zu begeben, um sich den anderen sechs Mitgliedern des Rates anzuschließen, doch dann waren seine Gemahlin und seine Kinder gestorben. Das Gebäude war Sitz der Macht in Venitte.
    Mein Blick huschte zu Eryn und Avrell, doch beide hatten die Aufmerksamkeit auf Tristan geheftet, der sich Eryn zugedreht hatte. Mit einer steifen, aber respektvollen Verbeugung sagte er: »Regentin, ich überbringe Euch eine Warnung von Fürst March und der Stadt Venitte. Obwohl sie zu spät eintrifft, wie mir scheint.«
    Betretene Stille breitete sich aus, nur unterbrochen vom Husten eines der Gardisten, der hinter Tristan und Brandan hereingekommen war. Tristan richtete sich auf und legte verwirrt die Stirn in Falten.
    Ich trat vor. »Ich bin die Regentin von Amenkor.«
    Jäh drehte Tristan sich herum und wiederholte seine Verneigung vor mir, diesmal noch steifer. »Ich bitte demütigst um Verzeihung, Regentin. Als wir in See stachen, hatte uns die Kunde von Eurer Thronbesteigung in Venitte noch nicht erreicht.«
    »Wann seid Ihr aufgebrochen?«, fragte Avrell.
    »Vor drei Wochen. Wir sind geradewegs hierhergekommen, ohne Umwege.«
    Avrell schaute zu mir. »Ich habe unmittelbar nach EurerThronbesteigung Boten nach Venitte geschickt. Sie hätten lange vor dem Ende des Winters eintreffen müssen.«
    »Über Land oder über das Meer?«, erkundigte sich Tristan.
    »Sowohl als auch.«
    Eryn warf ein: »Demnach hat keines der Schiffe es nach Venitte geschafft?«
    Tristans Züge verhärteten sich. »Keines.«
    »Das einzige Schiff, das aus dem Süden zurückgekehrt ist, war das von Mathew«, meldete William sich zu Wort. »Er kam nicht bis nach Venitte. Er beschloss, nahe an der Küste zu bleiben und mehrere kleinere Häfen anzulaufen, statt sich auf die Haupthandelsrouten hinauszuwagen, auf die es die Chorl abgesehen hatten.«
    Tristan grunzte. »Also wisst Ihr von den Chorl?«
    »Ja«, antwortete ich mit vor Zorn bebender Stimme. Sowohl Tristan als auch Brandan verstanden. Sie mussten durch das verkohlte Gerippe der Stadt gekommen sein, um zum Palast zu gelangen. »Sie haben Amenkor am ersten Frühlingstag angegriffen.«
    »Aber es ist Euch gelungen, sie zurückzuschlagen.« Es war eine Feststellung, keine Frage. Und es schwang unterschwellig Respekt darin mit.
    Avrell trat vor. »Was ist mit den Boten, die ich auf dem Landweg geschickt habe? Hat auch von ihnen keiner sein Ziel erreicht?«
    »Kein einziger. Seit dem Herbst haben wir aus Amenkor – oder irgendeinem anderen Hafen nördlich der Bootsmannsbucht – nichts mehr gehört.«
    »Was ist geschehen?«, ergriff Westen das Wort.
    Bevor Tristan antworten konnte, trat Brandan vor, der bisher geschwiegen hatte. »Die Chorl. Sie haben die Herrschaft über die Bootsmannsbucht und das umliegende Gebiet übernommen.«
    Niemand im Audienzsaal rührte sich. Ich hatte gewusst, dassdie Chorl nicht lange auf den Boreaite-Inseln bleiben konnten, allerdings hatte ich nicht damit gerechnet, dass sie sich so rasch an der Küste ausbreiten würden. Nicht nach dem Angriff auf Amenkor.
    Dann aber dämmerte mir die volle Bedeutung dessen, was Brandan gesagt hatte. Die Chorl mussten die Bootsmannsbucht bereits vor dem Winter übernommen haben, um Avrells Boten abzufangen. Demnach hatten sie ihren Einmarsch an der Küste schon begonnen, bevor sie hierherkamen, oder sie hatten zumindest genug Land erobert, um den Winter zu überstehen. Ich konnte mich nicht daran erinnern, die Bootsmannsbucht in den Plänen der Ochea bemerkt zu haben, als ich ihre Erinnerungen durchging, während sie auf dem Thron saß. Aber damals galt mein Hauptaugenmerk auch nicht dem, was sie anderswo getan haben mochte; damals galt es ihr

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