Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Kaempferin

Die Kaempferin

Titel: Die Kaempferin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joshua Palmatier
Vom Netzwerk:
Frühling zu überstehen. Dafür ist die Ortschaft dort zu klein. Selbst wenn sie begonnen haben, Ackerbau zu betreiben« – er schürzte bei dem Gedanken die Lippen, und offenbar empfanden alle Anwesenden aus Amenkor die Vorstellung als höchst unangenehm – »brauchen sie mehr Mittel. Temall ist die nächstgelegene Möglichkeit, sich diese Mittel zu beschaffen.«
    »Was soll das heißen, ›wenn sie begonnen haben, Ackerbau zu betreiben‹?«, fragte Brandan barsch.
    »Die Chorl sind nicht hier, um zu plündern«, erklärte ich. »Die Inseln, von denen sie kamen, wurden zerstört. Sie brauchen Land, einen Platz zum Leben. Sie sind hier, um zu erobern.«
    »Und wie es aussieht«, ergriff Westen leise das Wort, wobei er auf die Karte und die Stadt Temall hinunterblickte, »sind sie unterwegs nach Norden. Nach Amenkor.«

    Nach Norden. Nach Amenkor.
    Westens Worte gingen mir durch den Kopf, als ich mir den Weg zu meinen Gemächern bahnte, um mich nach einem anstrengendenVormittag zu waschen: Ich hatte die täglichen Streitigkeiten geschlichtet, die der Regentin vorgetragen wurden; außerdem hatte ich Ottul einen weiteren Besuch abgestattet, die beim Erlernen der allgemeinen Sprache der Küste von Frigea Fortschritte erzielte, wenn auch nur langsam. Die Aufgabe, Ottul die Sprache zu lehren, hatte ich Marielle übertragen. Anschließend hatte ich sowohl mit Westen und den Suchern als auch mit Eryn und den Begabten geübt. Nun schmerzten meine Muskeln, und mein Körper war erschöpft von der Anstrengung und vom Schlafmangel.
    Ich hatte immer noch Träume. Zumeist von Cerrin, aber gelegentlich auch von einigen der anderen Sieben, die den Geisterthron erschaffen hatten. Nicht jede Nacht und häufig nicht so lebendig wie bei jenem ersten Traum, in dem Cerrin die Begabte der Chorl in den Olivenhainen und Weizenfeldern außerhalb von Venitte angriff, doch sie zehrten allesamt an meiner Seele. Etliche Male war ich mit tränennassem Gesicht und nagendem Kummer tief in der Brust erwacht. Andere Male war ich wutentbrannt und jäh aus dem Schlaf aufgeschreckt, für gewöhnlich nachdem ich von Liviann oder Garus geträumt hatte.
    Nur waren es eigentlich keine Träume, dachte ich, als ich meine Gemächer betrat und mir das schweißfeuchte Hemd und die Hose auszog. Ich nutzte die Bewegungen, um die Verspannungen aus meinen Schulter- und Rückenmuskeln zu strecken, wobei ich leicht zusammenzuckte. Danach goss ich Wasser aus dem bereitstehenden Krug in das Becken auf dem Tisch an der Wand, tränkte ein Tuch darin und wischte mir die Krusten und den Dreck von Gesicht und Körper.
    Nein, es waren keine Träume, sondern Erinnerungen mit derselben Verbundenheit und Wucht, die ich verspürt hatte, als ich an den Thron gebunden war. Sie fühlten sich genauso wirklich an wie …
    Den Waschlappen ins Genick gedrückt, hielt ich inne und starrte in die Ferne.
    Es waren Erinnerungen. Erinnerungen an die Sieben und den Chorl-Überfall auf die Küste von Frigea vor fast eintausendfünfhundert Jahren. Erinnerungen, auf die ich hätte zugreifen können, wenn ich gewollt hätte, als ich noch mit dem Thron verbunden war.
    Aber der Thron war tot. Daher sollte es mir eigentlich nicht mehr möglich sein, auf Erinnerungen zuzugreifen, außer auf jene aus der Zeit vor dem Angriff der Chorl, als ich noch mit dem Thron verbunden war. Dennoch waren dies neue Erinnerungen. Sie enthielten Bilder, Orte, Menschen und Ereignisse, von denen ich nichts gewusst hatte, als der Thron zerstört worden war.
    Jetzt wusste ich davon.
    Ich warf den Lappen beiseite, zog die Hose und das weiße Hemd an, die man für mich aufs Bett gelegt hatte, riss die Tür zum Gang auf und erschreckte dadurch die dort wachenden Gardisten.
    »Regentin?«
    »Kommt mit.«
    Vor der Tür zum Thronsaal blieb ich stehen und legte zwischen den schweren Eisenbeschlägen eine Hand auf das polierte Holz. Seit dem Überfall der Chorl war der Saal verschlossen. In den Tagen danach war ich einige Male hergekommen, um den Thron zu überprüfen, ihn zu berühren und nach einem Flackern von Leben zu suchen – in der Hoffnung, das gähnende Loch zu füllen, das der Thron in mir hinterlassen hatte.
    Doch als ich kein Flackern, kein Kribbeln unter meiner Berührung wahrnahm, hatte ich es nach ein paar Tagen aufgegeben und war nicht mehr hierhergekommen. Es hatte keinen Grund dafür gegeben.
    Ich stieß die schweren Türen auf und trat ein. In dem länglichen Raum herrschte Dunkelheit. Das Licht aus dem Gang

Weitere Kostenlose Bücher