Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
Friedrich-Wilhelm noch mal eine.
»Krapotke«, sagt das Känguru scharf. »Du musst dir folgende Frage stellen: Schlägst du auf Friedrich-Wilhelm ein, weil er bewusstlos ist, oder ist Friedrich-Wilhelm bewusstlos, weil du auf ihn einschlägst?«
»Das ist nicht witzig«, sagt Krapotke.
»WAS WITZIG UND WAS NICHT WITZIG IST, BESTIMME IMMER NOCH ICH!«, brüllt das Känguru.
»Ich glaube, es geht ihm nicht gut«, sagt Krapotke.
»Mir scheint, eine innere Unruhe hat von unserem guten Krapotke Besitz ergriffen«, sage ich.
»Interessanterweise ist ja Krapotkes innere Unruhe gerade das Gegenteil von Friedrich-Wilhelms äußerer Ruhe«, sagt das Känguru.
»Eine sehr schöne Beobachtung«, sage ich.
»Danke.«
Ein Partygirl stellt sich hinter uns in die Schlange.
»Hey!«, sagt sie. »Und was studiert ihr so?«
»Ich studiere nicht«, lallt das Känguru. »Ich arbeite.«
»Und was arbeitest du so?«
Das Känguru starrt einen Moment ins Nichts.
»Ich denke mir Titel für Arthouse-Filme aus«, sagt es schließlich. »Diese werden dann von der Marktforschungsabteilung unserer Firma einem repräsentativen Querschnitt an Kinogängern vorgelegt, und zu den beliebtesten Titeln suchen wir uns Autoren, die dazu Drehbücher schreiben.«
»Das stelle ich mir gar nicht so einfach vor«, sagt das Mädchen. »Arthouse-Filme sind doch eher anspruchsvoll.«
»Ein weitverbreiteter Irrtum«, sagt das Känguru. »Arthouse-Filme und ihre Titel müssen nicht anspruchsvoll sein. Sie müssen nur anspruchsvoll wirken. Was zum Beispiel so gut wie immer funktioniert, ist, wenn man sich irgendetwas Banales nimmt, etwas, das jeder kennt, und das mit einer mehr oder weniger exotischen Weltregion verbindet.«
»Zum Beispiel?«
»Zum Beispiel: Wäsche aufhängen in Eritrea . Oder: In Kamtschatka auf den Klempner warten. Oder: Kinderkriegen in Holland .«
»Den letzten würde ich mir vielleicht sogar ankucken«, sagt das Mädchen.
»Gut funktioniert auch, irgendwas Banales mit einem Geschlecht zu verbinden«, sagt das Känguru. »Ich erinnere nur an den großen Erfolg von Männer, die ABBA-Songs pfeifen. «
»Den habe ich gesehen«, sagt das Mädchen.
»Tatsächlich?«, fragt das Känguru. »Das würde mich wundern.«
»Wieso?«, fragt sie. »Glaubst du, ich bin zu dumm für Arthouse-Filme?«
»Nein, nein«, sagt das Känguru. »Wenn du sagst, du hast den Film gesehen …«
»War der nicht angepriesen als ›Der Feel-Good-Film des Jahres‹?«, fragt das Mädchen.
»So bewerben wir alle unsere Filme«, sagt das Känguru. »Und außerdem drucken wir immer noch auf die Poster: ›Eine Million Zuschauer in Frankreich.‹«
»Ich jedenfalls habe den Film gesehen«, lalle ich, »und ich fand ihn ganz zauberhaft. Gansauberhaft. Außerdem finde ich, dass auch Millionen Zuschauer in Frankreich ein hervorragender Titel für einen Arthouse-Film wäre. Zum Beispiel über den Algerienkrieg …«
Ein junger Hipster verlässt die Toilette. Er stolpert und verliert, ohne es zu merken, seinen Stoffbeutel. Das Känguru hebt den Beutel auf und steckt ihn in seinen Beutel.
»Lasst ihr mich vor?«, fragt uns das Mädchen. »Ich muss ganz dringend.«
»Bitte«, sagt das Känguru.
Das Mädchen verschwindet ins Bad, und ich bemerke, dass wir plötzlich mit Friedrich-Wilhelm und Krapotke allein im Flur sind.
»Du tust auch nur so, also ob du betrunken wärst«, sage ich. »Oder?«
»Natürlich«, sagt das Känguru sofort absolut nüchtern. »Die ganze Party hier interessiert mich höchstens aus einer soziologischen Perspektive.«
»Wenn ich was trinke, kann ich mir die ganzen witzigen Sachen nicht merken«, sage ich. »Außerdem bin ich immer noch ein Mensch mit Migränehintergrund.«
»Und was ist mit ihm hier?«, fragt das Känguru.
Ich stupse Friedrich-Wilhelm mit einem Bein an. Er beginnt zu pfeifen.
»Was pfeift er da?«, fragt Krapotke unruhig.
»SOS«, sage ich.
»Den Notruf?«, fragt Krapotke.
»Den Abba-Song, du Schwachkopf«, sagt Friedrich-Wilhelm.
»Bist du etwa auch nicht betrunken?«, fragt Krapotke empört. »Bin ich denn der Einzige hier, der betrunken ist? Warum warst du dann so weggetreten?«
»Ich hab geschlafen, Mann!«, sagt Friedrich-Wilhelm. »Seit meine Freundin dieses Kind bekommen hat, muss ich jede Gelegenheit zum Schlafen nutzen, die ich kriegen kann.«
»Ruhe!«, sagt das Känguru. »Konzentration! Hiermit eröffne ich diese außerordentliche Sitzung des Zentralkomitees des Asozialen Netzwerkes. Anwesend:
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