Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
…«
»Streckenweise okay«, sage ich.
»Ist der Pinguin noch hier?«, fragt das Känguru.
»Nein, es tut mir leid. Er ist gerade abgereist.«
»Verdammt«, sagt das Känguru. »Äh. Entschuldigen Sie. Ich wollte sagen: verflucht. Verdammt. Äh … verflixt.«
»Nicht schlimm. Passiert mir auch ständig«, sagt die Frau.
Sie beißt in den Keks.
»Verdammt«, ruft sie.
»Schmeckt nicht?«, fragt das Känguru.
»Doch, doch«, sagt die Frau und lächelt schon wieder. »Schmeckt wie früher.«
Wir haben uns als bezahlte Claqueure für eine Fernseh-Talkshow anheuern lassen. Eine Stimme aus dem Nichts spricht zu uns: »Liebes Publikum, hier nuschelt Ihr Aufnahmeleiter. Gleich gehen wir live auf Sendung. Bitte achten Sie immer schön auf unsere leckere Praktikantin mit den Schildern und applaudieren Sie für Ihre neue famose Moderatorin in drei, zwei, eins …«
Die Moderatorin betritt das Studio, die Praktikantin hebt ein Schild in die Höhe, auf dem »Frenetischer Jubel» steht, und das Publikum jubelt frenetisch. Ich gähne. Das Känguru popelt in der Nase. Es hat sich natürlich wieder verkleidet. Es trägt Lippenstift, eine blonde Dauerwelle und ein weißes Abendkleid, und auf die rechte Wange hat es sich einen Leberfleck gemalt.
»Hallo«, sagt die Moderatorin. »Ich bin Julia Müller und heiße Sie herzlich willkommen zu Fünf vor zwölf um fünf nach zwölf.«
Der Applaus verebbt langsam. Sie setzt sich zu ihren Gästen.
»Heute haben wir wieder mal das spannende Thema: Die Finanzkrise. Als Gäste habe ich eingeladen: einen Experten, eine Politikerin, einen Industriellen, einen ehemaligen Bankdirektor und äh … sonst niemanden! Ahahamuh.«
Das Känguru lacht grimmig. »Zensur durch Selektion …«
»Meine erste Frage geht an Herrn Dr. Minne. Sie sind Experte, können Sie uns denn etwas zur aktuellen Wirtschaftslage sagen?«
»Ich als Experte denke, wir müssen die Verhältnisse enger schnallen. Wir leben über unsere Sachzwänge. Der Gürtel ist alternativlos.«
»Irgendwie kommt mir das alles total bekannt vor«, sage ich.
»Dreißig Jahre lang sieben Nächte die Woche sieben Wiederholungen«, sagt das Känguru. »76.650 Wiederholungen ergeben eine Wahrheit.«
»Hier rechts außen begrüße ich nun Herrn Jörn Dwigs, ehemals Bankdirektor, nun frischgebackener Finanzsenator von Berlin«, sagt Julia Müller. »Herr Dwigs, ganz ehrlich, ich hätte ja nicht gedacht, dass die SPD bei einer breiten linken Mehrheit im Senat ausgerechnet Ihre Partei mit ins Boot holt.«
»Wenn ich kurz antworten darf«, sagt der Experte, »der Fehler in Ihrem Gedankengang ist, dass Sie die SPD immer noch dem linken Parteienspektrum zurechnen. Das ist doch schon längst passé. Von linker Politik hat sich die SPD, ich möchte fast sagen: seit der Zustimmung zu den Kriegskrediten 1914, immer wieder erfolgreich distanziert.«
»Auch ich habe nichts gegen SPDler«, sagt der Industrielle. »Im Gegenteil. Einige meiner besten Freunde sind in der SPD.«
»Der Bürgermeister hat mir unter vier Augen auch gestanden«, sagt Dwigs, »dass er hauptsächlich deshalb mit uns koaliert, damit später mal alte SPD-Wähler über ihn sagen können: ›Es war nicht alles schlecht. Immerhin hat er die Autobahn gebaut.‹«
Die Praktikantin hält ein Schild in die Höhe, auf dem steht: »Ausgelassen lachen.«
»Ahahamuhmuhmuh«, macht Julia Müller. »Aber lassen Sie uns kurz über die Ursachen der Finanzkrise …«
»Finanzkrise …«, sagt der Experte. »Dieses Wort ist schon falsch. Ich sehe keine Krise des Finanzsektors. Im Gegenteil, es geht ihm blendend. Im Prinzip war die sogenannte Finanzkrise nur eine gigantische Umverteilungsmaßnahme, und zwar eine sehr erfolgreiche.«
»Umverteilt wurde von unten nach oben?«, fragt Julia Müller.
»Natürlich«, sagt der Industrielle. »Wer die Geschichte kennt, weiß, dass gar keine andere Art der Umverteilung möglich ist.«
Die Praktikantin hält ein Schild in die Höhe, auf dem steht: »Laut grübeln.«
Aus dem Publikum hört man laute »Hm«s und viel Kopfgekratze. Kurz ist der Industrielle irritiert.
»Heißt das«, fragt Julia Müller, »es gibt auch Leute, die Geld gemacht haben in und durch die Krise?«
»Bevor wir darüber reden«, sagt Dwigs, »möchte ich noch kurz über ein viel drängenderes Problem sprechen, das mir auch persönlich sehr am Herzen liegt: der linke Terror.«
»Ja«, sagt die junge blonde Politikerin neben ihm. »Ein extrem wichtiges Thema. Ich sage
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