Die Känguru-Offenbarung (German Edition)
zufrieden wieder ein. Am nächsten Morgen schaute er auf den Zettel, und da stand: ›Boy meets girl.‹«
»Worauf willst du hinaus?«, frage ich.
»Kannst du nicht diese angedeutete Lovestory mit Gott ausbauen?«
»Ja, schreib doch, wie du einsam und verzweifelt bist, dann aber zu Gott findest«, sagt das Känguru.
»Entschuldigung«, sage ich empört, »aber Verfolgungsjagden, Lovestorys, Unfug! Ich schreibe hier einen Tatsachenroman! In diesem Buch steht nichts als die Wahrheit …«
»… so wahr dir Gott helfe«, sagt das Känguru.
»Liebesgeschichten. Das ist es, was die Leute lesen wollen«, sagt mein Lektor.
»Oder natürlich Fantasy«, sagt das Känguru.
Ich verdrehe die Augen.
»Ich muss ja gestehen«, sagt mein Lektor, »ich selber lese auch am liebsten Fantasy.«
»Wie bitte?«, frage ich.
»Ich muss für meine Arbeit immer schon so langweilige Sachen lesen«, sagt mein Lektor, »drum schmökere ich in meiner Freizeit gerne in spannenden Büchern.«
»Ich habe ihm auch schon gesagt, er soll lieber über die epische Schlacht zwischen Gut und Böse schreiben«, sagt das Känguru.
»Langweilt euch das eigentlich nicht längst?«, frage ich. »Als Finale immer und immer wieder eine epische Schlacht? Eine epische Schlacht übrigens, die ja in den meisten Fällen auch eine ethnische Schlacht ist. Nach dem Motto: ›Nur ein toter Ork ist ein guter Ork.‹ Und natürlich immer wieder die guten Menschen aus dem Westen gegen die bösen Horden aus dem Osten. Geradezu rassistisch, wenn man mal drüber nachdenkt. Es wäre doch witzig, wenn es als Finale statt einer epischen Schlacht mal eine ethische Schlacht geben würde. Also ein Fantasy-Buch, dass nicht mit Gemetzel, sondern mit einer Diskussion endet. Anstatt dass der gute König über den bösen Unterdrücker obsiegt, debattieren die Helden darüber, ob es so etwas überhaupt gibt, einen ›guten König‹, oder ob das nicht schon ein Widerspruch in sich ist.«
»Ich glaube nicht, dass das funktionieren würde«, sagt das Känguru.
»Zu verkopft«, sagt mein Lektor.
»In welcher Fantasy-Serie steckst du denn gerade?«, fragt das Känguru.
»Ich lese gerade Thorsten Mann«, sagt mein Lektor.
»Thomas?«, frage ich.
»Nein, nein. Thorsten Mann. Der Zauberzwerg .«
»Drei oder sieben?«, fragt das Känguru.
»Eine Triologie«, sagt mein Lektor.
»Es heißt Trilogie, nicht Triologie«, sage ich.
»Sicher?«, fragt mein Lektor.
»Ja.«
»Hm.« Er macht sich eine Notiz. »Ich darf nicht vergessen, deinen Klappentext noch mal zu überarbeiten.«
»Um was geht’s denn im Zauberzwerg?«, fragt das Känguru.
»Der Zauberzwerg Imli und seine Gefährten, darunter der Dreißig-Prozentling Rodo, müssen den Helm des Mambrin finden – übrigens auch eine Art MacGuffin –, um den guten König des Westens Eoden von seiner Geisteskrankheit zu befreien …«
»Kultur heute schlägt alles mit Ähnlichkeit«, sage ich.
»Apropos geisteskrank«, sagt mein Lektor. »Diese Kapitel über deinen Psychiater … Die sind mir zu abgefahren. Können wir die bitte rausnehmen? Gerade das letzte. Da weiß man ja nicht mal, ob das jetzt ein Traum sein soll oder nicht.«
»Spielst du eigentlich auch World of Warcraft?«, fragt das Känguru.
»Na klar«, sagt mein Lektor. »Ehrensache.«
»Ich hatte erst gestern eine echt epische Schlacht mit Dein Vater«, sagt das Känguru.
Ich ziehe meine rechte Augenbraue nach oben.
»Der Typ, mit dem ich gekämpft habe«, sagt das Känguru. »Der hat sich so genannt. ›Dein Vater‹. Weiß auch nicht, was das soll.«
»Das ist ja witzig«, sagt mein Lektor.
»Das ist nicht witzig, das ist nerdig«, sage ich.
Mein Lektor lacht und sagt: »Nein. Das ist witzig, denn ich bin DEIN VATER!«
Ich kratze mich an der Nase.
»Das ist supernerdig«, sage ich. »Du hast dich nur so genannt, um irgendwann mal diesen Witz machen zu können. Außerdem ist es seit dem Zweiten Komikerkonzil strengstens verboten, Ich-bin-dein-Vater-Witze zu machen.«
»Was liest du denn gerade?«, fragt mein Lektor das Känguru.
» Der Alchimist «, sagt es. »Der Titel hat mich getäuscht. Aber dann habe ich trotzdem weitergelesen. Ich wollte wissen, warum das so erfolgreich ist.«
»Und?«, frage ich.
»Es ist furchtbarer Kitsch«, sagt das Känguru angewidert. »Keine Monster, kein Gemetzel. Keine epische Schlacht. Nicht mal eine ethische. Was soll das? Das ist Wellness-Fantasy! Und obendrauf noch diese furchtbar abgeschmackte ›You can do it
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