Die Kaffeemeisterin
vor dem Zelt Platz gefunden hatten, waren so einfallsreich gewesen, es sich auf den leeren Weinfässern vor dem Schuppen bequem zu machen.
A nne wetzte herein und heraus, ein großes Tablett mit Kaffeetassen über dem Kopf balancierend. Schosch, noch immer ohne Fez, dafür mit einem kleinen Ziegenbart, schenkte den Gästen nach, während Lili eifrig leere Gläser und Becher einsammelte.
Johanna konnte nur hoffen, dass niemand das Durcheinander ausnützen würde, wenn es ums Bezahlen ging. Die Zeche ihrer Stammkunden wurde natürlich wie immer auf dem Kerbholz eingetragen, auch wenn das Kerbholz heutzutage aus einem Zettel bestand und die Kerben Striche waren. Adams Eltern hatten noch die Kerben in das Holz geritzt, aber als er die Coffeemühle übernahm, hatte Adam das dann geändert. Am Ende des Monats rechneten sie ab. Bei den anderen Gästen hingegen wurde sofort kassiert. Aber vor allem Schosch konnte sich nur schlecht merken, wer jetzt eigentlich was und wie oft gehabt hatte. Und natürlich bestand bei so vielen Fremden auch immer die Gefahr, dass jemand die Zeche prellte. Sie kannte schließlich ihre Pappenheimer! Da hieß es aufpassen wie ein Luchs!
A ls sich Johanna endlich ins Zelt vorgekämpft hatte – sie kam aus dem Händeschütteln gar nicht mehr heraus –, klopfte Justus ungeduldig auf den Platz neben sich auf dem teppichbezogenen Bänkchen. Doch statt seiner Aufforderung nachzukommen, atmete sie erst einmal tief durch, um ihre Aufregung zu unterdrücken, und ließ ihren Blick über das erwartungsvoll dreinschauende Publikum wandern. Schließlich klatschte sie zweimal laut in die Hände und formte mit den Fingern einen Trichter vor ihrem Mund.
»Liebe Gäste, verehrte Damen und Herren, wenn ich jetzt um Ihre Aufmerksamkeit bitten darf! Ich möchte Sie ganz herzlich willkommen heißen bei unserem nun täglich stattfindenden Vorlese- und Erzählabend in der Coffeemühle . Herr von Zimmer wird erst ein Stück aus Aladin und die Wunderlampe lesen, einer Geschichte aus Tausendundeine Nacht , deren Lektüre wir gestern begonnen haben. Dann werde ich selbst Ihnen eine Geschichte erzählen, die mir auf meiner Reise in den Orient zugetragen wurde. Wie Sie alle wissen, war ich lange unterwegs und habe am Hofe des Sultans so einiges erlebt … Während Herr von Zimmer seine Lesung abhält, werden Anne, Schosch und meine Tochter Margarethe Sie mit Getränken bewirten. Danach machen wir eine kleine Pause, in der Sie etwas essen können. Wir haben verschiedene köstliche Speisen aus dem Morgenland für Sie zubereitet …«
Sie machte eine kleine Kunstpause, in die hinein der durch den Trubel in seinem Hof verwirrte Hahn zweimal laut krähte. Als sich das Gelächter über den Hahn gelegt hatte, fuhr sie fort:
»Nun bitte ich aber zunächst um einen kräftigen Applaus für Herrn von Zimmer und Aladin!«
Während der Beifall an ihren Ohren vorbeirauschte, beschlich sie erneut das Gefühl, die gleiche Situation schon einmal erlebt zu haben. Damals, bei der Eröffnung des Damensalons, hatte Gabriel unmittelbar nach ihrer Rede eine heitere Tanzweise auf seiner Geige angestimmt. Nun lauschte sie Justus von Zimmers Bassstimme, die für einen so jungen Mann erstaunlich voluminös war, wie er die Geschichte von Aladin bis zu dem Punkt kurz zusammenfasste, an dem der Zauberer Aladin in der Höhle einsperrte. Dann begann er aus seiner Übersetzung zu lesen, und sie ließ ihren Gedanken freien Lauf.
Natürlich hatte sie schon ihren kleinen Geschwistern immer Geschichten erzählt, und später dann Margarethe und Lili. Aber vor einer so großen Menschenmenge zu sprechen, das war noch mal etwas ganz anderes. Ob ihre Stimme überhaupt bis zu den Zuhörern draußen vor dem Zelt vordringen würde? Justus bereitete das keine Schwierigkeiten, ihn konnte man vermutlich noch auf der Gasse hören. Aber sie? Und wenn es ihr nicht gelang, die Pointe rechtzeitig zu setzen, und die Leute anfingen sich zu langweilen? Was für eine schreckliche Vorstellung, in lauter angeödete Gesichter zu blicken! Plötzlich bereute sie es, sich keine Notizen gemacht zu haben. Aber wie hätte das denn ausgesehen: eine Geschichtenerzählerin mit Spickzettel? Nein, sie würde das Kind schon schaukeln, redete sie sich selbst gut zu, sie durfte sich nur nicht verrückt machen. Wie hatte Zehra noch gesagt, die ihr irgendwann einmal von den Redekünsten eines berühmten Staatsmannes aus dem alten Rom vorgeschwärmt hatte: »Stell dir ein fach vor, du
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