Die Kaffeemeisterin
manchmal schreien. Wie ein verwundetes Tier klingt er dann.« Vorsichtig blickte Martin Münch sich um. »Er ruft nach Elisabeth. Aber es ist wohl besser, ihr nichts zu sagen. Ich hoffe nur, Ännchen hält auch dicht. Sonst überlegt Elisabeth es sich vor lauter Mitleid womöglich noch anders.«
Johanna schüttelte den Kopf, dass der kurze Schleier, den sie zur Feier des Tages an ihre Haube gesteckt hatte, um ihre Nase wehte.
»Nein, nein, keine Sorge, das wird nicht mehr passieren! Elisabeth hat wirklich genug von ihm. Sie hat ihn angezeigt.«
»Meine liebe Bergerin, wie gemütlich es hier bei Ihnen ist!«
Johannas alte Feindin, die Gewürzkrämerin von gegenüber, drängte sich zwischen sie und Martin Münch. Energisch hielt sie ihr ein Körbchen mit wohlriechenden Kräutersträußen unter die Nase. Henriette Schley war dünn wie eine Bohnenstange, aber sehr gepflegt und anscheinend unbedingt darauf bedacht, jünger zu wirken.
»Riechen Sie mal! Der beste Majoran, den man in ganz Frankfurt kriegen kann!«
Als Johanna ihren Kopf aus dem tatsächlich wundervoll duftenden Körbchen hob, fügte sie mit öliger Stimme hinzu:
»Es wird doch wohl noch ein klitzekleines Plätzchen für mich übrig sein, nicht wahr, Frau Nachbarin?«
Johanna war vollkommen verblüfft. Seit Jahren hatten Henriette Schley und sie kein nettes Wort mehr miteinander gewechselt, und nun tauchte die Gewürzkrämerin einfach so auf, als wäre nie irgendetwas gewesen. Sie lächelte eingefroren und hielt Margarethe, die mit einem Tablett voller Kaffeetassen an ihr vorbeieilte, am Ärmel fest.
»Margarethe, zeig doch Frau Schley eben, wo sie sich hinsetzen kann, ja?« Sie drehte sich zu ihrer Widersacherin um. »Sie nehmen doch auch ein Tässchen Kaffee, Gnädige?«
»Aber liebend gerne!«, zirpte die Gewürzhändlerin. »Ihrer soll ja der beste der ganzen Stadt sein.«
Margarethe rollte mit den Augen und zog einen Flunsch, den sie aber gekonnt in ein strahlendes Lächeln umwandelte, als sie die Nachbarin begrüßte.
Dass selbst ihre schlimmste Feindin diesen Abend nicht verpassen wollte, konnte doch nur ein gutes Vorzeichen sein!, sagte sich Johanna vergnügt und rieb sich die Hände. Alle Plätze belegt – wer hätte das gedacht?
»Hab ich’s Ihnen nicht gesagt, Frau Johanna?«, flüsterte Gregor Denzel, der schon den zweiten Abend hintereinander in die Coffeemühle gekommen war, ihr ins Ohr. »Sie sind keine, die sich unterkriegen lässt. Das hab ich Ihnen gesagt, damals vor einem Jahr. Wissen Sie noch? Und jetzt schauen Sie sich um! So voll war es hier noch nie. Sie haben es geschafft, meine Liebe!« Er hatte den für ihn reservierten Stuhl schon fast erreicht, als er sich noch einmal zu ihr umwandte und sagte: »Und heute werden sie ja wohl nicht wieder auftauchen und hier alles kurz und klein schlagen wollen …«
Er lachte und tänzelte wie ein Boxer mit erhobenen Fäusten vor ihr herum.
Johanna zuckte zusammen. Eine Art Déjà-vu flackerte in ihr auf. Sie hatte doch schon einmal ein wunderbares Fest gegeben, erinnerte sie sich. Und dann war Gottfried Hoffmann gekommen und hatte alles zerstört.
»Wer schlägt alles kurz und klein?«, fragte in dem Moment eine distinguierte Stimme neben ihr.
Johanna erkannte Magda von Zimmer auf Anhieb. Eine etwa zwanzigjährige, nicht wirklich hübsche, aber irgendwie verwegen aussehende junge Frau mit einem riesigen Obstgebilde auf dem sommerlichen Strohhut, einem Stock mit Silberknauf und einer Zofe im Schlepptau. Sie hatte den gleichen Lausbubenblick wie ihr Bruder und hielt sich sehr gerade. Justus hatte Johanna erzählt, dass seine Schwester demnächst einen Baron aus dem Rheinland heiraten würde, der mit ihrer Mitgift seine Ländereien bei seinen Gläubigern auslösen könnte.
»Hoffentlich niemand!«, versuchte Johanna die unheilvolle Prophezeiung des Schuhmachers wegzulachen. »Wie schön, dass Sie kommen konnten, Fräulein von Zimmer!«
»Justus wollte unbedingt, dass wenigstens einer aus unserer Familie seinen Auftritt miterlebt! Da habe ich mich erbarmt. Mutter würde natürlich kein Kaffeehaus betreten« – Magda von Zimmer schaute sich um, als wäre sie zwischen lauter Strohhütten gelandet und die Dorfbewohner würden gleich ihren Stammestanz aufführen –, »und Vater weiß noch nicht so recht, was er von Justus’ neuer Berufung halten soll. Er hat ja lange gehofft, dass sein Filius mal ein wenig Interesse für die Politik oder die Verwaltung unserer Ländereien zeigen
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