Die Kaffeemeisterin
alles nicht mitbekommen, was ihre Lieben betraf, nur weil sie sich nie genug Zeit nahm, sich mit ihnen und ihren Angelegenheiten zu beschäftigen?
Schuldbewusst blickte sie zu Elisabeth, die sich auf eine Bank hatte sinken lassen und mit einem Mal sehr müde aussah.
»Ja, Margarethe ist in Justus verliebt«, erklärte die Freundin fast beiläufig. »Schon lange. Erst habe ich es auch für die typische Schwärmerei eines jungen Mädchens gehalten. Aber als sie dann jeden Tag zum Kerker gelaufen ist … Jedenfalls hat sie fest vor, morgen Abend aus Justus’ Übersetzung zu lesen. Sie hat das Bedürfnis, ihn zu vertreten, wahrscheinlich weil sie sich ihm dann näher fühlt. Ich glaube, sie hat heute schon heimlich geübt, jedenfalls meinte Lili so etwas. Sie hat sie wohl in ihrer Kammer belauscht, wie sie vor sich hin deklamierte.«
Johanna setzte sich neben Elisabeth auf die Bank und streckte die Beine von sich. Sie spürte ihre brennenden Fußsohlen. Den ganzen Tag war sie herumgelaufen, ohne Pause. Und nun das! Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Was für ein Unsinn! Was würden die Leute sagen, wenn ein junges Mädchen vor ihnen auftrat? Margarethe kam aus einer ordentlichen Familie. Wer würde sie später noch heiraten, wenn sie sich jetzt auf einer Bühne zeigte? Doch höchstens ein Mitgiftjäger oder jemand, der selbst Dreck am Stecken hatte. Nein, das würde sie auf keinen Fall zulassen! Wie kam es, dass sie so gar nichts davon erfahren hatte? Aber wenn Justus und Margarethe ineinander verliebt waren, dann erklärte das natürlich vieles, beispielsweise, warum Justus sich ständig in der Coffeemühle aufgehalten hatte und wieso es ihm ein geradezu persönliches Anliegen gewesen war, Gottlieb aus dem Weg zu schaffen.
»Ihr müsst mich für ganz schön selbstsüchtig halten …«, begann sie zögernd.
Elisabeth legte ihr eine Hand auf den Arm.
»Nein, für selbstsüchtig nicht«, erwiderte sie sanft. »Nur für … für … sagen wir: für überlastet. Wahrscheinlich machst du viel mehr, als du eigentlich müsstest, um die Coffeemühle in Schwung zu halten. Dabei läuft der Laden doch prächtig! Jeden Tag ist er voll! Und die Leute kommen gerne. Wahrscheinlich hast du in der Zeit, seit das Zelt im Hof steht und du dich als Scheherazade verkleidest, das Zehnfache von dem verdient, was du in den Wochen nach der Wiedereröffnung eingenommen hast.«
Johanna nickte bedächtig. Das Zehnfache stimmte nicht ganz. Aber es war trotzdem ordentlich. Jedenfalls war die Summe, die sie in Rot unter die Liste mit den Ausgaben geschrieben hatte, sehr viel kleiner gewesen als die in Schwarz, die unter den Einnahmen stand. Auch wenn man das jetzt wegen des umgekippten Tintenfasses und der ausgelaufenen Farbe kaum mehr lesen konnte. Aber so weit erinnerte sie sich noch, sie war wohl erst danach über den Rechnungsbüchern eingeschlafen.
»Ludwig meint das übrigens auch«, fuhr Elisabeth eifrig fort. »›Wenn man so viel um die Ohren hat wie Johanna‹, hat er gesagt, ›dann kann man einfach nicht mehr nach rechts und links gucken. Da kommt schon mal was zu kurz. Leider eben auch die Belange der Nächsten …‹ Ja, genauso hat er das gesagt«, nickte sie zufrieden, ohne Johanna anzusehen. »Du hast ja schon als Kind nicht mal fünfe grade sein lassen können! Immer musste bei dir alles perfekt sein. Und da war es dir völlig gleichgültig, was um dich herum geschah. Hauptsache, dein Plan ist aufgegangen. Da konnte die Welt untergehen, deine beste Freundin Liebeskummer haben oder du selbst fürchterliche Bauchschmerzen – Hauptsache, du hast deinen Willen durchgesetzt und alles wurde genau so gemacht, wie du dir das vorgestellt hast!«
Johanna blickte ungläubig auf Elisabeths nun leicht trotzig vorgerecktes Profil. War sie wirklich so gewesen als Kind, wie die Freundin ihr gerade vorgeworfen hatte? So stur und nur auf die Umsetzung der eigenen Ideen bedacht? Sie schüttelte den Kopf. Dass sie jetzt ein wenig übertrieb und wirklich sehr pingelig darauf achtete, dass die Coffeemühle genau so geführt wurde, wie sie das wollte und bestimmte, das mochte ja noch angehen. Aber früher war sie doch ganz anders gewesen! Früher hatte sie doch immer Angst gehabt, etwas falsch zu machen, sich nichts zugetraut und sich stets hinter solchen Machern wie ihrem Vater oder Adam versteckt.
»Doch, glaub mir, Hanne, du warst auch früher schon so! Natürlich nicht so ausgeprägt wie heute«, lenkte Elisabeth ein, die ihre Gedanken
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