Die Kaffeemeisterin
hatte ihr einmal erklärt, dass er sich mit seinem Kleidungsstil nach allen Seiten abgesichert fühlte. Der grüne Seidenrock zeigte, dass er mit der Zeit ging, auch wenn das luxuriöse Kleidungsstück beim Gemeindevorsteher, dem Roschakol, aneckte. Deutlich sah man noch die Stelle, auf der bis vor Kurzem der gelbe Ring angebracht gewesen war. Mit dem Kaftan versuchte er sich beim Rabbiner einzuschmeicheln, was bisher allerdings nicht gefruchtet hatte. Und hatten nicht auch seine Vorfahren in Sepharad oder, wie die Araber sagten, Al-Andalus lange, weite Gewänder getragen, als sie in den schattigen Innenhöfen ihrer Paläste saßen und dem Plätschern der Springbrunnen lauschten?
Jehuda stellte das Tonschälchen mit den Stecknadeln auf seinen Platz im Regal und kam ihr mit offenen Armen entgegen.
»Ah, Frau Johanna, wie geht es Ihnen? Und der Familie? Den Geschäften?« Er musterte sie besorgt, als sie nicht sogleich antwortete. Dann fragte er: »Sie sehen ein wenig blass aus. Ist alles in Ordnung mit Ihnen?«
Rasch räumte er ein paar Kisten von einem Schemel.
»Setzen Sie sich doch einen Moment!«
»Guten Tag, Jehuda. Es war so furchtbar voll da draußen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Man wurde fast zertrampelt! Und eine alte Frau wurde verletzt, wer weiß, wie schwer! Ich glaube, sie ist regelrecht zu Tode getrampelt worden.«
»Wie schrecklich, das hört sich ja furchtbar an! Aber nachher fängt der Sabbat an. Da wollen alle vorher noch möglichst viel erledigen.«
Johanna atmete tief durch und merkte, wie sie allmählich wieder zu Kräften kam. Nach dem Tohuwabohu auf der Judengasse taten ihr die Ruhe und Abgeschiedenheit bei Jehuda nun einfach wohl.
»Für Sie habe ich etwas ganz Besonderes da. Einen Augenblick!«
Der Krämer verschwand eilig in dem langen, dunklen Gang. Johanna wusste, dass es eine Weile dauern würde, bis er wieder aus dem Labyrinth der Lager- und Kellerräume unter seinem Haus auftauchen würde, und machte sich schnell daran, ihren Strumpf neu zu befestigen.
Als Jehuda zurückkam, hielt er eine große Dose im Arm.
»Das hat mir mein Vetter Baruch aus Saloniki geschickt.«
Johanna kannte Vetter Baruch aus Erzählungen. Er war unermesslich reich, seine Karawanen zogen bis nach Mokka am Roten Meer und bis nach Bagdad und weiter an den Persischen Golf. Er lieferte nur erlesenste Ware. Sie bezog ihren Kaffee aus unterschiedlichen Quellen, aber Jehudas Kaffee war eindeutig am besten und günstigsten.
Unter dem Deckmantel des kleinen Ladengeschäfts betrieb Jehuda ben Abraham einen florierenden Großhandel. Seine Kunden waren handverlesen, denn er verspürte keinerlei Lust, sich vor Gericht, mit den christlichen Kaffeehändlern darüber zu streiten, ob denn der Kaffeehandel im Großen den Juden gestattet sei. Für ihn war alles erlaubt, was nicht ausdrücklich verboten war. So sahen es alle Juden, während die Haltung der meisten christlichen Geschäftsleute in der Stadt genau umgekehrt war: Den Juden war alles verboten, was ihnen nicht ausdrücklich erlaubt war. Darin waren sich Lutheraner, Reformierte und Katholiken ausnahmsweise einig. Bei allen Neuerungen – und Kaffee war noch immer neu – wurde ausgiebig von beiden Seiten prozessiert.
»Schnuppern Sie mal!«
Vorsichtig nahm Jehuda den Deckel ab und hielt ihr die Dose entgegen.
Johanna tauchte ihre Nase in das Steingefäß und atmete tief ein. Die noch grünen Bohnen dufteten wie ein Garten mit blühenden Pfirsichbäumen. Was würde ein Parfümeur dafür geben, so etwas Liebliches zu erschaffen!
»Ich würde am liebsten hineinkriechen und darin baden«, seufzte sie.
»Das ist die letzte Ernte aus Äthiopien. Wilde Bohnen. Schauen Sie mal, wie schön sie sind!« Jehuda nahm eine kleine graugrüne Bohne aus der Dose. »Eine wirklich hervorragende Qualität!«
Er hielt die Bohne zwischen Daumen und Zeigefinger und prüfte sie kritisch.
»Sie sind gerade gestern aus Venedig eingetroffen«, fuhr er fort. »Luftdicht in Fässern verstaut. Mit Maultieren über die Alpen transportiert. Und das, obwohl man die meisten Pässe noch gar nicht überqueren kann!«
Liebevoll blickte er auf die kleine Bohne. Dann klappte er schnell den Deckel der Dose wieder zu, damit nichts von dem guten Aroma verloren ging.
Aus dem dunklen Gang kam nun Jehudas stämmiger, bleicher Gehilfe angeschlurft, der einen großen Teil seiner Zeit in den unterirdischen Gewölben zwischen Wein- und Bierfässern, Stoffballen und Pfeffersäcken verbrachte. In
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