Die Kaffeemeisterin
Gelder eingetrieben, die man ihr schuldete. Einige hatten nicht zahlen können und um Aufschub gebeten.
»Doktor Stern ist natürlich alles andere als begeistert vom Beruf seines Sohnes«, setzte Jehuda nach. »Alle in seiner Familie sind Ärzte. Er hat sich gewünscht, dass sein Sohn einmal seine Nachfolge im Hospital antritt. Und welche Familie will schon so viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen? Ein Musiker? Ein Komponist? Da tratschen doch alle. Das bringt nur Scherereien. Als Jude sollte man möglichst nicht auffallen.«
Bedächtig schüttelte er den Kopf. Johanna verkniff sich ein Lachen, denn Jehuda selbst hatte ganz offensichtlich keinerlei Bedenken aufzufallen. Oder, wenn man so wollte: anzuecken. Es schien ihm geradezu diebischen Spaß zu machen, immer dagegen zu sein.
Von dem Blatt Papier, das auf ihrem Schoß lag, stieg ihr ein schwerer orientalischer Duft in die Nase. Die parfümierte Tinte bezog Vetter Baruch aus Persien.
»Was meinen Sie?«, wechselte Jehuda das Thema. »Könnten wir die Damen, die Ihren Salon besuchen werden, vielleicht auch dazu ermuntern, etwas Seide zu kaufen? Ich könnte einiges günstiger anbieten, als man es sonst wo findet.« Er drehte sich um und deutete auf das Regal, in dem nun wieder der Damastballen ruhte. »Und schauen Sie sich diesen wunderschönen Stoff an! Damit könnten Sie die Stühle beziehen lassen. Was kommt an die Wände?«
Jehuda seufzte und strich unbewusst über seinen Seidenrock.
»Meine Familie zählte zu den größten Seidenhändlern in ganz Al-Andalus. Das waren noch Zeiten! Aber nun schlägt man sich so von Tag zu Tag durch.«
Der Krämer klang, als hätte er persönlich noch gestern im Schneidersitz vor dem Kalifen gesessen und ihm glänzende Stoffe für seinen Harem verkauft.
Das Spinettspiel brach abrupt ab. Kurz darauf konnte man vorsichtige Schritte auf der Treppe hören, als würde sich jemand im Dunklen tastend nach unten bewegen. Dann flog die Tür vom Treppenhaus in den Laden mit so viel Schwung auf, dass sie krachend an ein hinter der Tür stehendes Fass schlug.
Neugierig drehte sich Johanna um.
Ein dunkelgelockter junger Mann mit einem Geigenkasten in der Hand blinzelte sie aus zusammengekniffenen Augen an, als müssten sie sich erst wieder an das hellere Licht im Laden gewöhnen. Er sah aus wie jemand, der aus einer ganz anderen Welt, von einem weit entfernten Stern plötzlich in diesen engen vier Wänden abgesetzt worden war. Johanna schätzte ihn auf kaum älter als zwanzig. Er war nicht wie jemand aus der Judengasse gekleidet, wo alle in dunklen Mänteln mit steifen weißen Krägen und Schabbesdeckeln herumliefen, sondern trug einen bordeauxfarbenen Rock mit einer leicht ausgefransten Stickerei an Ärmeln und Revers, dunkle Kniehosen aus Leder, weiße Strümpfe und glänzende Schnallenschuhe. Seine Locken fielen ihm ins Gesicht, obwohl er sie mit einem Band im Nacken zu bändigen versucht hatte. Er war mittelgroß und schlaksig und hatte ein schmales, längliches Gesicht mit einer sanft gebogenen Nase und vollen Lippen.
Johanna konnte ihren Blick kaum aus den ausdrucksvollen dunklen Augen mit den langen Wimpern befreien. So einen attraktiven Mann hatte sie schon lange nicht mehr gesehen. Die Welt schien ihr mit einem Mal stillzustehen.
»Ah, der Herr Kapellmeister persönlich! Wir haben andächtig gelauscht«, riss Jehudas Stimme sie aus ihrer Benommenheit.
»Schalom Alechem« , grüßte der junge Mann.
Behutsam stellte er seinen Geigenkasten auf dem Fass hinter der Tür ab und kam mit ausgestreckter Hand auf sie zu.
»Mein Name ist Gabriel Stern. Und wer sind Sie?«
Sein Lächeln war so strahlend, dass Johanna eine plötzliche Befangenheit befiel. Mühsam zwang sie sich, ebenfalls zu lächeln und zu grüßen.
»Johanna Berger … Sie … Sie haben sehr schön gespielt«, stammelte sie und löste schnell ihre Hand aus dem warmen Griff des Fremden.
»Danke.«
Er strahlte sie an.
Hilfe!, dachte sie. Was passierte da mit ihr? Sie hatte versucht eine halbwegs sinnvolle Erwiderung auf seinen Gruß zu finden, aber feststellen müssen, dass sie nicht in der Lage war, auch nur einen vernünftigen Satz hervorzubringen. Wie konnte das sein, dass dieser Mann sie allein durch seinen Anblick derart aus der Fassung brachte? Gib dir einen Ruck!, probierte sie sich zusammenzureißen. Sie konnte nur hoffen, dass man ihr den inneren Aufruhr nicht anmerkte.
»Was war das für ein Stück, das wir da gerade gehört haben?«, fragte sie betont
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