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Die Kaffeemeisterin

Die Kaffeemeisterin

Titel: Die Kaffeemeisterin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helena Marten
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saß.
    Jehuda schien sich nun doch dazu entschieden zu haben, ihr Geld anzunehmen. Er hatte ein großes Notizbuch unter einer Schiefertafel hervorgezogen, klappte das Tintenfass auf und nahm die Feder in die Hand. Eifrig schrieb er ein paar hebräische Ziffern untereinander.
    Johanna hatte alles durchdacht. Sybilla und Anne würden auf ihren Lohn verzichten, bis das neue Geschäft lief. Dafür würden sie am Umsatz des Salons für Damen beteiligt werden. Einen Tag später hatte sie auch Schosch überzeugen können. Bei Hannes sah es natürlich anders aus: Er hatte eine Familie, und weil er ein Trinker war, stand er bei allen möglichen Gastwirten in der Kreide, unter anderem bei ihr. Die Halderslebens investierten achtzig Gulden in den neuen Salon, das hatten sie ihr fest zugesagt. Auch Schuster Denzel hatte ihr Geld versprochen – wie viel genau, mussten sie noch besprechen. Trotzdem würde sie auch das ohnehin nur kleine Erbe der Mädchen antasten müssen. Daran führte kein Weg vorbei. Aber würden ihre Töchter das Geschäft nicht einmal erben? Sie war achtundzwanzig Jahre alt, in den mittleren Jahren. Sicher, sie sah immer noch ganz passabel aus. Doch sie rechnete inzwischen nicht mehr damit, selbst einmal Kinder zu haben. Mit Adam war es nie etwas geworden, und nun hatte sie keinen Mann mehr. Margarethe und Lili würden also alles bekommen.
    Plötzlich drang ein ungewohntes Geräusch an ihre Ohren. Was war das? Johanna hob den Kopf, bis sie erkannte, was da aus der Ferne zu ihr herüberklang: eine Geige, die Klänge einer Geige! Erst war es nicht mehr als ein zaghaftes Zupfen, dann eine leise Melodie, die sich langsam und fragend an etwas herantastete. Schließlich wurde die Musik lauter, schneller und immer leidenschaftlicher, ein wildes Auf und Ab von Tönen, die einander zu jagen schienen, in rasender Wut, dann wieder lustig hüpfend wie im Spiel.
    Johanna wusste sofort, dass sie diese Melodie nie mehr vergessen würde. Gebannt lauschte sie den Klängen, und auch Jehuda hatte bei seiner Addition innegehalten. Etwas Tinte tropfte von seiner Feder auf das Papier. Mit einer Kopfbewegung in Richtung Decke erklärte er:
    »Der Sohn von Doktor Stern ist aus Italien zurück. Er sollte dort Medizin studieren, wie sein Vater. Doktor Stern leitet unser Hospital. Aber der Junge hat nicht gemacht, was der Vater wollte, und stattdessen einfach Musik studiert. Beim großen Antonio Vivaldi persönlich. Und nun komponiert er und gibt gleichzeitig unseren höheren Töchtern Geigen- und Spinettunterricht.«
    Johanna wünschte sich, er würde aufhören zu reden, damit sie der Musik lauschen könne, die nun triumphierend und gleichzeitig heiter klang. Wie ein Bergbach im Frühling, der fröhlich seinen Weg geht, dachte sie.
    Jehuda tauchte die Feder wieder in das Tintenfass und fuhr ungerührt fort:
    »Italienisch bringt er den Mädchen auch bei. Sie können sich die Aufregung hier vorstellen: ›Warum sollen unsere Mädchen Italienisch lernen? Hebräisch, das wäre gottesfürchtig, aber Italienisch?‹ So redet der Roschakol den ganzen Tag! Ich sage Ihnen: Manche dieser Leute wollen, dass wir wie im Mittelalter leben. Und warum? Nur um ihre eigene Macht zu festigen, es sind schließlich immer dieselben Familien, die hier in der Gasse das Sagen haben. Und Sie können sich ja vorstellen, welche … Die Reichen sind es! So ist es doch überall.«
    Den letzten Satz hatte er murmelnd mehr zu sich selbst als zu ihr gesagt.
    Das Geigenspiel war abgebrochen, und nun ertönte dieselbe Melodie auf dem Spinett.
    »Warum sollen unsere Kinder nicht Musik- und Italienischunterricht bekommen?, frage ich mich. Überhaupt haben wir hier eher zu viel Religion als zu wenig. Als ob es nicht reichen würde, dass uns die Stadt Frankfurt und der Kaiser Vorschriften machen! Nein, der Gemeinderat versucht uns auch noch zu gängeln. Es sei zu unserem Besten, sagen sie.«
    Jehuda schüttelte angewidert den Kopf. Schließlich stand er auf, riss die voll geschriebene Seite mit Schwung aus dem Heft und reichte ihr das Papier.
    »Ich denke, das ist alles.«
    Achtzehn Gulden und vier Kreuzer schuldete sie ihm. Einen nicht zu unterschätzenden Teil der Rechnung machte das Khojal aus, das sie aus dem Orient bezog, um ihre hellen Augenbrauen nachzuziehen und ihre Augen zu umranden. Und Wimperntusche kaufte sie ebenfalls bei Jehuda.
    Sie knöpfte ihre Geldkatze auf und zählte Jehuda einen Gulden nach dem anderen vor. Seit Tagen hatten sie im Kaffeehaus die

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