Die Kaffeemeisterin
Voraussicht schon Tage vor dem Einsetzen des Unwetters dort aufgebaut hatten, war noch ein Durchkommen. Niemand außer ihr selbst schien sich an dem fauligen Gestank zu stören, der von dem Hochwasser ausging und ihr schon am frühen Morgen Übelkeit bereitete. Kniehoch stand das Wasser jetzt auf der Piazza, sogar in der Vorhalle der Markusbasilika bekam man noch nasse Füße, und es sah nicht danach aus, als ob es sich bald wieder zurückziehen würde, im Gegenteil.
Sie tauchte den Lappen in die Waschschüssel und fuhr sich damit über Gesicht und Hals. Der angelaufene Wandspiegel zeigte ihr ein ziemlich übermüdetes, wenn auch hübsches Frauengesicht mit zahlreichen Sommersprossen, um das sich ein paar kupferrote Haarsträhnen ringelten. Der schlanke Hals mündete in den weiten Ausschnitt eines zart gemusterten Unterkleides, das unter der Büste geschnürt war und den Busen schön zur Gel tung brachte.
Johanna schnitt ihrem Spiegelbild eine Grimasse. Sie sah gut aus, das wusste sie, trotz der vielen Arbeit, die auf ihr lastete. Giuseppina und ihren Kochkünsten war es zu verdanken, dass ihre einstige Magerkeit gänzlich verschwunden war. Die vollen Wangen und das üppige Dekolleté verliehen ihr eine ganz andere Aura. Sie sah jetzt viel weiblicher aus als früher, fand Johanna, viel mehr wie eine Frau. Woran allerdings auch der Conte mit seiner ganzen liebevollen Fürsorge und unverhohlenen Leidenschaft für sie nicht ganz unbeteiligt war, musste sie sich eingestehen.
Wieder seufzte sie. Der Conte … Irgendwie schaffte sie es nicht, als »Andrea« von ihm zu denken. Für sie blieb er einfach immer »der Conte«. Trotz der zahlreichen Nächte voller Innigkeit und Verlangen, die sie zusammen verbracht hatten. Und nicht nur das: Er hatte ihr auch die Stadt gezeigt, ihr sein Venedig vor die Füße gelegt, das Venedig der Kirchen und Museen, das Venedig der Opern, Theater und Konzertsäle, der literarischen Salons und festlichen Empfänge. Er hatte Kleider für sie anfertigen lassen, regelrechte Roben, damit sie an seiner Seite in Schönheit erstrahlen würde. Die bessere Gesellschaft hatte sich Mühe gegeben, höflich zu ihr zu sein. Und einigen hatte sie die Mühe nicht einmal angemerkt. Die meisten jedoch hatten sie von oben herab behandelt und sie spüren lassen, dass sie eine Fremde war. Dazu unkultiviert und nicht von Stand. Da nützten all die schönen Kleider nichts. Nur dass Andrea Giustinian sich an ihrer Seite befand, hielt die Leute davon ab, sie zu schnei den oder sie aus ihren Häusern zu jagen. Einmal hatte sie mitbekommen, wie die Contessa di Marzio und die Frau eines Schriftstellers sich hinter ihrem Rücken über ihren teutonischen Akzent lustig gemacht hatten, ohne zu bemerken, dass sie ganz in der Nähe stand. Oder vielleicht hatten sie sogar gewusst, dass sie mithörte.
Johanna lachte freudlos. Ja, so weit hatte sie es gebracht, sie war tatsächlich die Mätresse eines venezianischen nobile geworden, der sie, für alle deutlich sichtbar, auf Händen trug. Aber passte diese neue Rolle überhaupt zu ihr?
Nachdem für beide Seiten, für den Conte und für sie, klar geworden war, dass es bei dieser einen Nacht in der Gondel nicht bleiben würde, hatte er sie darum gebeten, ihre Arbeit bei den Francesconis niederzulegen. »Man wird dich in der Gesellschaft anders empfangen, wenn du nicht arbeitest und ganz einfach die Frau an meiner Seite bist«, hatte er argumentiert. »Ich gebe dir das Geld für die Rückreise, wenn es das ist, weshalb du arbeitest.« Johanna hatte erst gezögert, dann aber sein Angebot abgelehnt. Nur die Italienischstunden, zu denen er sie schicken wollte, um ihre Aussprache zu verfeinern, besuchte sie hin und wieder – sofern sie die Zeit dazu fand. Wie lange würde sie diesen Spagat noch durchhalten, tagsüber die umsichtige, zu allen freundliche Schankmagd zu sein und abends die aufregende Geliebte, die ihren Mann mit ihrem Körper, aber auch mit ihrem Witz und Geist zu unterhalten vermochte? Sie wusste, dass der Conte sie nicht nur begehrte, sondern auch die Gespräche mit ihr schätzte und den Austausch über die kulturellen Ereignisse, die sie gemeinsam erlebten. Aber sie spürte, wie ihr allmählich die Kräfte schwanden und sie sich jeden Tag ausgelaugter fühlte. Und sie merkte auch, dass er zunehmend unzufrieden war, sie mit den Francesconis teilen zu müssen.
Endlich war sie fertig mit Ankleiden und eilte die enge Treppe hinunter ins Erdgeschoss, um die letzten
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