Die Kaiser des Mittelalters - von Karl dem Großen bis Maximilian I.
zog 951 über die Alpen. Rasch konnte er seine Rivalenvertreiben und selbst die Königsherrschaft antreten; ein formeller Erhebungsakt ist nicht überliefert. Seine Kanzlei griff auf den alten Herrschertitel Karls des Großen zurück und sprach vom «König der Franken und Langobarden» oder vom «König der Franken und Italiener». Erstmals seit 896 waren Ostfranken und Italien wieder unter einer Herrschaft vereint. Eine besondere Legitimation erfuhr dieser Gewaltakt durch die Hochzeit Ottos mit der verwitweten italienischen Königin Adelheid. Ottos erste Gemahlin Edith, eine angelsächsische Königstochter aus Wessex, war 946 verstorben. Die zweite Ehe mit Adelheid, einer burgundischen Königstochter und reichen italienischen Königin, eröffnete Otto die Perspektiven der romanischen Welt. Selbstbewusst agierte Adelheid als Königin wie später als Kaiserin mit und neben ihrem Gemahl. Mit ihr begann die Reihe profilierter Kaiserinnen des 10. und 11. Jahrhunderts mit hohem Einfluss auf die Politikgestaltung. Ihre Bedeutung fand in der Verwendung des älteren italienischen Ehrentitels «Gefährtin im Kaisertum»
(consors imperii)
sinnfälligen Ausdruck.
Ein geplanter Romzug scheiterte 951. Vier Jahre später begründete Otto seinen Ruhm als Heidensieger über die Ungarn. Auf dem Lechfeld bei Augsburg feierten die Völker seines Reichs am 10. August 955 einen gemeinsamen Triumph, der langfristig die Sesshaftwerdung und Christianisierung der aus Asien in Europa eingefallenen Ungarn bewirkte. Die Schrecken auswärtiger Invasionen durch Normannen, Sarazenen und Ungarn gehörten jetzt der Vergangenheit an. Mit der Heiligen Lanze, die einen Nagel vom Kreuz Christi als kostbare Reliquie barg, in der Hand verhieß der König eine glanzvolle Zeit des Friedens. Niemals zuvor, so meldete es der Geschichtsschreiber Adalbert, sei «ein solcher Sieg bei den Unsrigen erhört worden oder geschehen». Widukind von Corvey notierte in seiner Sachsengeschichte: «Eines solchen Sieges hatte sich kein König vor ihm in zweihundert Jahren erfreut.» Damit verblasste selbst der Ruhm Karls des Großen.
Den Erfolg ließ der Chronist in einem besonderen Erhebungsakt gipfeln. Das siegreiche Heer habe Otto, wie einst schon seinenVater Heinrich nach dessen Ungarnsieg, zum «Vater des Vaterlands und Kaiser» ausgerufen. Die Lesefrucht von der Schilderhebung des antiken römischen Kaisers durch sein Heer entwarf ein neues Modell des Kaisertums, ohne Papst und Rom, allein auf die eigene Leistung gegründet: «Den Kaiser macht das Heer.» Hartnäckig verschwieg Widukind darum die spätere römische Kaiserkrönung durch den Papst, Ausweis sächsischen Selbstbewusstseins vom eigenen Weg an die Spitze der europäischen Völker.
Für das wirkliche Kaisertum brauchte Otto noch fast sieben Jahre und die Einladung des Papstes. 960 führten dessen Boten am ottonischen Hof Klage über Berengar und Adalbert, die Ottos Abwesenheit zum Ausbau eigener Positionen genutzt hatten. Vor dem gefährlichen Zug über die Alpen ließ der Herrscher seinen jugendlichen Sohn Otto II. zum Mitkönig wählen. Das Weihnachtsfest 961 feierte man bereits in Pavia. Dann wurde Otto I. von Papst Johannes XII. in Rom «mit wunderbarer Pracht und ungewöhnlichem Aufwand empfangen und von dem erwähnten obersten Bischof und allgemeinen Papst Johannes zum Kaiser gesalbt» (Liutprand von Cremona).
Aus dieser Zeit haben sich erstmals Ordines erhalten, liturgische Bücher zur zeremoniellen Ausgestaltung einer Kaiserkrönung. Über das ganze Mittelalter wurden diese Ordnungen fortgeschrieben und verändert, in der Dynamik scheinbar gleicher Rituale immer wieder dem gewandelten Herrschaftsverständnis folgend. Fügt man die mehr als 20 Handschriften mit Ordines zur mittelalterlichen Kaiserkrönung bei aller Vielfalt in eine Momentaufnahme, so ergäbe sich für das Hoch- und Spätmittelalter folgender idealer Ablauf: Im Allgemeinen begibt sich der König von seinem Lager auf dem Monte Mario über die Via triumphalis zur Porta Collina bei der Engelsburg. Hier leistet er einen Eid auf die Rechte und Gewohnheiten der römischen Bürger. Klerus und Senatoren von Rom geleiten ihn bis zu den Stufen von St. Peter. Auf der obersten Stufe empfängt ihn der Papst. Ihm leistet der König seit 1111 den Fußkuss, um dann vom Papst als Zeichen der Gleichrangigkeit aus ursprünglicher Unterwerfung erhoben, umarmt und geküsst zu werden. Vor demEinzug in die Kirche leistet der Herrscher einen
Weitere Kostenlose Bücher