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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Clegg
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geflügelten Dämonen vom Himmel gekommen waren.
     
    Der Aschling wanderte durch die Gassen, bis er zu jener Straße außerhalb der Mauer kam. Dort bezahlte die Frau ihren Wegezoll und gab ihren Zielort als »die Felder« an. Die Wächter musterten sie genau, doch als sie ihr Gesicht zeigte, ließen sie sie passieren, als hätte sie ihnen den Tod selbst dargeboten. Am Rande des westlichen Kanals wartete sie auf einen Fährmann.
    »Wie weit?«, fragte der Fährmann, als er sein Boot ans Ufer zog. Er war ein älterer Mann, der äußerst dünne Kleidung trug und vor Kälte zitterte.
    »So weit es geht«, antwortete sie, gab dem alten Mann einige
Münzen und stieg in sein Boot. Der Mann seufzte, als er sich zwischen den Rudern niederließ. Ein nahezu tropischer Dampf stieg aus dem Wasser auf. Überall am Rande des Kanals brannten schwarze Gefäße, die mit dem Caelumstein und trockenem Holz gefüllt waren. Ich konnte nur vermuten, dies hindere die Kanäle am Zufrieren.
    Ich versuchte mich umzuschauen, andere zu sehen, mehr von der Stadt zu entdecken – aber meine Vision gestattete es mir nur, dem Aschling unter mir mit dem Blick zu folgen.
    »Nur wenige von Euch überlebten die frühen Plagen. Erinnert Ihr Euch an die alten Zeiten?«, fragte sie.
    Der Mann blickte sie an, als versuchte er, die Absicht ihrer Frage zu erraten. »Vor den Plagen. Und dem Traum.«
    »Hier befanden sich Marschen«, meinte sie. »Und dichter Wald.«
    »Vor den Stürmen und den Überschwemmungen.« Er nickte. »Bevor die Erde unter uns bebte und die Klippen in den Himmel ragten. Bevor brennende Steine vom Himmel regneten. Bevor in den Grabhügeln gewühlt wurde und... bevor die Türme wuchsen.« Er grinste. Seine Zähne waren so abgenutzt, dass sie nur noch aus Stummeln bestanden, und das Leuchten in seinen kleinen Augen schien von Kummer überschattet zu sein. »Vor den Kanälen. Ich war Hirte von Beruf. Meine Kinder und Enkelkinder musste ich begraben. Und auch drei Schwestern begrub ich ebenso wie eine gute Ehefrau. Nun sind die Schafe rar, es mangelt an Rindern, und was nicht knapp ist, befindet sich dort drinnen.« Er deutete auf die Mauern der Stadt. »Habt Ihr am Fieber gelitten?«
    Sie nickte.
    »Ihr tätet gut daran, das zu vergessen. Die Welt ist zerstört
worden, auch wenn viele Leute vorgeben, dass sie nie anders ausgesehen hätte. Dennoch hat es keinen Sinn, auf das zurückzublicken, was vergangen ist, seien es nun Königreiche, Liebe oder Tod.« Er schwieg während der Reise zum Wald, als hätte er Angst vor ihren Erinnerungen. Dann sprach er einige Worte in der alten Sprache des Großen Waldes, hergeleitet von den sprechenden Steinen, als sich im früheren Finsteren Mittelalter alle hatten versteckt halten müssen, um zu überleben. Bei den Weisen Frauen hieß es, die Sprache käme von den Elementargeistern – jenen Energien, welche Wald, Stein, Feuer und Luft entsprangen, aber die Gestalt von Waldgeistem annahmen, wie etwa der heilige Hirsch von Cemunnos, der Herr des Waldes oder die Briary Maids, die dem einfachen Volk in verzweifelten Zeiten bei den Dombüschen nahe dem Waldnebel erschienen. Sie wurde die »Namenlose Sprache« genannt, da sie älter war als die Sterblichen selbst. »Aiyen-athet«, sagte er. »Malis-brana.« Für Euch, Jungfer, die schnellsten Raben.
    »Ihr riskiert vieles, wenn Ihr diesen Segen sprecht«, bemerkte sie.
    »Ich bin siebzig Jahre alt und habe alle überlebt, die mir etwas bedeuten«, entgegnete er. »Was hätte ich von den Illuminationsnächten zu befürchten? Meine Zeit ist bald gekommen. Ich würde mich selbst ertränken, bevor irgendein Mom mich schnappen könnte.«
    »Tragt Ihr die Scheibe?«, fragte sie ihn im Flüsterton.
    »Nur wenn ich muss«, antwortete er leise.
    Sie lächelte ihn an, er lächelte zurück. Sie sprachen kein weiteres Wort, bis das Boot anhielt. Dort, inmitten der Wintergänse, die sich am Ufer scharten, dockte das Boot an den
grob behauenen Steinen an, die Stufen bildeten, welche hinauf zum Anlegeplatz führten, der mit Planken ausgelegt war.
    Am Ufer, wo der Kanal endete und sich auf seinem Weg zum Fluss Lugh verengte, stand ein Knabe bereit – ein Schatten vor den wachsenden Schatten des Tages, halb versteckt hinter einigen Bäumen.
    »Die Schnelligkeit des Rabens für Euch«, sagte der ältere Mann, als er vom Boot aus zu ihr aufblickte und sie wissend anlächelte.
    »Das Gleiche für Euch«, erwiderte der Aschling, als besagten diese Worte mehr als ihre

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