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Die kalte Koenigin

Die kalte Koenigin

Titel: Die kalte Koenigin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Clegg
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»Mordac, sieh zu.« Die eingerollten Blätter schienen leicht zu zittern, als hätte sie eine Brise berührt. »Die Blume trachtet nicht nach meiner Lebenskraft, Mordac. Sie riecht die Plage in mir. Sie weiß, dass das, was sich in meinem Blut befindet, ihren Stiel verdorren lassen würde, und dann würden ihre Blütenblätter bald auf die frostklirrende Erde fallen, eines nach dem anderen. Weißt du, wie die Sang-Fleur hierher kam? Durch die fernen Kriege. Sie wächst in einer Totenstadt. Eigentlich sollte sie gar nicht hier sein. Sie ist für alle giftig, außer für die geflügelten Dämonen selbst. Und außer für mich.«
    Die runde Eichentür der Höhle öffnete sich nach außen, und als der Aschling aufblickte, sah auch ich die kleinen, knotigen Finger einer Chymerschwester, als blickte ich durch die Augen des Aschlings.
     
    Dies war in meinen Visionen nie zuvor geschehen.
    Ich war noch niemals in den Körper einer Person, die ich in einer Vision gesehen hatte, hineingezogen worden.
    Nun fühlte ich mich aber in den Aschling hineingesogen, in seinen Körper. Dies passierte ganz plötzlich und fühlte sich an, als wäre meinen Lungen sehr schnell die Atemluft entzogen worden.
    Ich spürte den Leib der Frau um mich herum.
    Ich spürte die Plage in ihrem Körper.
    Und dennoch kannte ich ihre Gedanken nicht. Ich blickte nur stumm durch ihre Augen.
    Wusste sie, dass ich da war? Konnte sie mich in ihrem Inneren spüren? Damals vermochte ich diese Fragen nicht zu beantworten,
und ich verstand auch nicht, wie es möglich war, innerhalb einer Vision tatsächlich in den Leib einer Person hineinversetzt zu werden.
     
    In der offenen Tür stand eine stämmige Frau. Der Saum ihres Umhanges war schlammig, als wäre sie durch Sumpfgebiet gelaufen. Sie trug einen Nonnenschleier aus einfachem Stoff eng um den Hals. Ihr Kopfhaut war mit dem Nebelkopfschmuck versehen worden, an dem der Chymerschwesternorden zu erkennen war, wobei sein dicker schwarzer Stoff den Kopf bedeckte. Die Krone ihres Kopfschmucks wurde außen von geflecktem gelbem Fell gesäumt, das aussah, als stammte es von einer Wildkatze. Es fiel ihr wie bei einem Hennin – einer kegelförmigen Haube – über den Nacken und die Schultern. Ihre Augen waren klein und braun, und ihre Haut trug die Feuermale eines Menschen, der sehr unter der Plage gelitten hatte. Ihre Stirn war leicht verschleiert, um die Beule an ihrem Schädel zu verdecken. Ihre Zähne waren so spitz wie die eines Wolfes, aber ganz klein, so dass sie kaum aus ihrem Zahnfleisch herausragten.
    »Ich bin Godwaina, die Demütige und Sanfte. Ich habe diesen Höhlen gedient, seit ich siebzehn Jahre alt war«, sagte die Chymer. Ihre Aussprache war undeutlich, als würde sie auf einem trockenen Stück Fleisch herumkauen. »Ihr bringt Tribut. Wie schön.« Sie warf dem Knaben einen Blick zu. »Das kleine Tierkind ist zurückgekehrt.« Sie drohte dem Knaben mit dem Finger. »Du darfst uns weder Nahrung noch Felle stehlen, du Welpe.« Dann sah sie wieder das verdeckte Gesicht des Aschlings an. »Hat er was gestohlen? Jemanden getötet?«
    »Er hat mich hergeführt.«

    »Es streift gern umher, das kleine Mondjunge.« Godwaina streckte die Hand aus, um die Münzen aus der Hand des Aschlings zu nehmen. »Sehr schön«, sagte sie, indem sie jede Münze genau untersuchte und mit den Zähnen draufbiss, um sie auf ihre Echtheit zu überprüfen. »Sehr schön. Und es ist so ein hübsches Bild von Unserer Heiligen Herrin Enora darauf.« Sie hielt die Münze hoch, in das trüb verblassende Tageslicht. »Ein Bild von einem Künstler des Hofes, ohne Zweifel.«
    »Ich hab noch mehr davon, wenn Ihr mir helft«, sagte der Aschling.
    »Wie viel mehr?« Godwaina zog die Mundwinkel hoch, bis ein großer Teil ihres bleichen Zahnfleisches entblößt war. Ihre kleinen Zähne waren durch den Gonilde -Samen blau verfärbt. Er enthielt magische Eigenschaften, die für diejenigen nützlich waren, welche mit den Toten sprachen. Sie fügte hinzu, als rezitierte sie es aus dem Gedächtnis: »Wir sind nur ein armer Schwestemorden und auf die Barmherzigkeit der vom Glück Begünstigteren angewiesen, um unsere Anbetung fortführen zu können.«
    »Ich wünsche, mit jemandem zu sprechen, der zu den Toten gehört.«
    »Das ist bei vielen der Fall, die zu uns kommen«, erwiderte Godwaina. »Aber verfügt Ihr nicht über einen Priester? Eine Kirche? Eine Weiße Robe? Ihr seid... Ihr scheint mir jung zu sein, meine Liebe. Kommt Ihr von

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