Die kalte Koenigin
dass es nur knapp über die Ohren reichte und den Nacken gerade so eben bedeckte. Seine Wangen waren rosig, als hätte er sich an der Feuerstelle gewärmt, seine Augen aber waren angstvoll aufgerissen, wie die eines in einer Falle gefangenen Kaninchens. Er erinnerte mich ein wenig an Ewen, so wie er gewesen war, als er noch zu den Sterblichen gehört hatte. Mein Bewusstsein war inzwischen so getrübt, dass ich ihn rief, als wäre er mein geliebter Freund. »Jean, komm her! Hab ich dich nicht schon zuvor zur Ader gelassen?«
Der Diener nickte, indem er seinen Blick auf den Alchimisten gerichtet hielt, als wäre er zu verängstigt, um mir ins Gesicht zu sehen.
Artephius streckte die Hand aus, um die Schulter des Jünglings zu berühren. »Jungfrauen haben in einem Monat mehr Blut gegeben, als du heute Nacht liefern wirst.« Seine Hand glitt an Jeans Arm herab und kam an seinem Handgelenk zum Halten.
Artephius zog an dem Ärmel von Jeans Hemd und schob ihn über seinen Unterarm zurück. Dann zog er die Klinge schnell über das Handgelenk des jungen Mannes, der Krug glitt dem Diener aus der Hand und fiel zu Boden. Ich hörte das Zerspringen von Ton und das Spritzen von Wasser.
»Trink dies«, sagte der Alchimist und presste das Handgelenk des Bediensteten gegen meine Zähne. »Trink es jetzt, sonst wird es gerinnen.«
Ich drängte meine Lippen gegen das Handgelenk des jungen Mannes und spürte, wie sein Puls zunächst raste und sich dann, als ich zu viel von dem Blut trank, verlangsamte. Er wurde immer langsamer, dieser Trommelschlag, der den Tod des Sterblichen ankündigte. Dennoch trank ich nicht so viel, dass es ihn getötet hätte.
»Trinke sein ganzes Blut«, knurrte Artephius. »Alles. Du musst ihn bis auf den letzten Tropfen austrinken.«
Ich sah den Ausdruck in Jeans Augen. Die Angst war verschwunden, und er befand sich nun an jenem Ort der Betäubung, an dem er langsam an die Schwelle zwischen Leben und Tod pochte, an jenem Ort des Vergnügens, das in jenen letzten Augenblicken der Hingabe lag. Ich konnte ihn nicht dorthin bringen, ich vermochte es nicht, diesem jungen Manne das Leben zu nehmen, nur damit er meinen Durst stillte. Er hatte mir kein Unrecht angetan, und ich hatte schon genug von ihm getrunken.
Also zog ich meine Zähne aus seinem Handgelenk und schloss den Mund.
Als Artephius das Handgelenk losließ, fiel der junge Mann zu Boden.
»Du hättest ihn austrinken sollen«, fand der Alchimist. Er warf einen Blick nach unten zu dem Jüngling. »Ich denke, ich werde ihn zur Ader lassen, während er schläft. Und auch andere.« Er strich mit der Hand über mein Gesicht. »In dir rumort noch immer das Fieber des Schleiers.«
Ich kostete das Blut, und die Erinnerungen an mein Leben kehrten zurück – an die Kindheit mit meiner Mutter und meinen Geschwistern auf den Feldern, an die Arbeit am Hofe des Barons, an die Schlachten. Als meine Erinnerung die Python
an meine Lippen brachte, durch deren Atem der Vampyrismus in meinen Leib gelangt war, umfing mich die dunkle Umarmung des Schlafes.
Während ich in den Schlaf glitt, hörte ich, wie Artephius anderen Bediensteten Befehle zurief: »Hol die Wundärzte herbei, und du und du, ihr holt irgendwelche jungen Gefangenen. So junge, wie ihr sie nur finden könnt. Das Blut muss vor Leben sprühend und stark sein, also sucht keine kränklichen aus und keine, die an Krankheiten leiden. Ich will sieben Schüsseln Blut in seinen Körper hinein- und sieben Schüsseln Blut aus seinem Körper wieder herausströmen lassen.«
Ich hatte den Schleier erneut durchquert. Dies erfüllte mich mit Panik, denn ich fürchtete, ihn noch weiter auseinanderzureißen. Es war, als würde ich die Geburtshülle zerreißen, um hineinzugelangen. Im Inneren wirkte alles wie Nebel und Rauch, und alles, was ich sah, erschien mir wie ein Traum in einem Traum.
Ich konnte den Dampf um mich herum spüren, und in dem Nebel, der auf allen Seiten aufstieg, erschufen mein Geist und meine Augen die Kreaturen, die sich dort befanden, denn keine davon war tatsächlich so beschaffen, wie sie auf mich wirkte. Dennoch erblickte ich die Trugbilder meines Zeitalters – die Meerjungfrauen, die als kriechende Seemonster erschienen, und den mit Tentakeln ausgestatteten Gott, dessen einziges großes Auge sich glühend von seinem schwefelgelben Fleisch absetzte. Und dort, inmitten des Nebels, der Bestien und der Schatten, sah ich auch jenes Gesicht der Medhya, welches Datbathani genannt wird, die
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