Die kalte Koenigin
brachten auf ihren Flügeln die ersten Plagen aus der Hölle mit.«
»Wo sind seine Flügel?«
»Sie sind verborgen, wenn die Bestien schlafen«, antwortete Taran, als wüsste er alles über Dämonen, was es zu wissen gab.
»Sie hat mir erzählt, sie seien hilflos, wenn sie auf diese Art gefesselt sind«, wisperte Lyan. »Aber siehst du, wie er uns ansieht?«
Taran kehrte zu meinem Sarg zurück und beugte sich darüber. Auch in seinem Gesicht erkannte ich Alienoras Züge.
In der Gestalt seiner Nase und dem Schwung seiner Lippen und seines Kinns sah ich mein Gesicht und das meiner eigenen Mutter widergespiegelt. Auch in den Gesichtszügen des Mädchens erkannte ich ein wenig Ähnlichkeit mit meiner Mutter.
»Der Teufel sieht uns zu, kann aber nichts tun«, sagte Taran. Etwas stimmte mit dem linken Auge des Knaben nicht – es schien blutrot zu sein, als hätte ihn einst jemand mit einem harten Schlag dort getroffen und es beschädigt. Außerdem konnte ich an seinem Hals Narben erkennen, die schwach, aber dennoch sichtbar waren. Das Haar, das ihm über das rechte Auge fiel, konnte ein anderes kleines Mal nicht verbergen. Es wirkte wie die seltsame Zeichnung, die ich an Enoras Hals gesehen hatte.
Ich erinnerte mich an die Vision, die ich früher einmal, in der Grabkammer des Merod Al-Kamr, erlebt hatte. Damals hatte ich den Schleier durchquert, um durch das Glas zu blicken, welches dasjenige zeigte, was geschehen könnte:
Alienora, die die Göttin des verfluchten Moores aufsuchte, die unseren Säugling im Arm hielt und ihn mit einer Klinge schnitt, damit sein Blut in das dunkle Wasser floss. So nahm sie in dem finstersten und faulsten aller Gewässer Verbindung mit jenen Schatten und Medhya, der Dunklen Madonna, höchstpersönlich auf.
Sie hatte ihn nicht getötet.
Sie hatte sein Blut vergossen und ihn gezeichnet.
Aber mein Sohn lebte.
Und auch eine Tochter.
Zwillinge.
»Er ist wunderschön«, meinte Lyan. »Und die anderen ebenfalls.«
»Dämonen nutzen Schönheit, um kleine Mädchen wie dich zu täuschen«, entgegnete Taran mit selbstgefällig klingender Stimme. »Aber ich durchschaue ihn. Wir sollten sie alle in Brand stecken. Sie alle. Teufel. Teufel in unserer Stadt.«
»Wage es nicht«, erwiderte Lyan und stieß ihn von meinem Sarg fort. »Sie sind etwas Besonderes.«
»So besonders, dass sie den Roten Skorpion erleiden sollen«, sagte der Knabe.
»Sei still«, flüsterte sie. »Daran möchte ich nicht denken.«
»Hast du es gesehen? Du hast es gesehen. Du hast heimlich zugesehen, Lyan. Du hast es dir angesehen. Das ist es, was sie tun. Sie häuten sie und stechen auf sie ein. Auf diese Art entstehen Moms«, erklärte er.
Das Mädchen, das meine Tochter war, sah zu mir herab, mit einem Ausdruck des tiefsten Kummers in den Augen. »Er erscheint jetzt nicht sehr schrecklich. Sieh nur. Sein Gesicht – er wirkt wie einer von uns, Taran. Er scheint kein Teufel zu sein.«
»Das ist die List, die sie anwenden. Sie sehen aus wie wir, um uns zu täuschen. Erinnerst du dich daran, wie er sich in dem Spiel erhob? Wie er Gron den Teufelsschlächter niedermetzelte? Wie er das Blut der Jungfrau trank? Das ist es, was Dämonen tun. Du darfst nicht anfangen, Mitleid mit den Fürsten der Hölle zu empfinden, wie du es mit den Kaninchenwilderem getan hast. Er verfügt über keine Familie, die er beschützen
müsste. Er ist nur ein Bluttrinker, der Plagen über uns bringt. Es ist sein Volk, das zahlreiche Menschen auf der Welt tötete, Lyan. Vergiss das nicht. Nichts würde ihm besser gefallen, als dir die Kehle aufzureißen und dein Blut zu trinken, bis du ausgetrocknet wärest.«
Der Diener rief vom Türeingang aus nach ihnen. Er sagte zu ihnen, es wäre spät, und andere würden bemerken, dass sie nicht in ihren Betten lägen. Der Junge beklagte sich darüber, schlafen zu müssen, und das Mädchen sagte, vielleicht würde es überhaupt nicht einschlafen, aus Angst nämlich, »diese Dämonen könnten sich erheben und uns finden«. Dennoch hörte ich ihre Schritte schließlich verklingen.
Der Deckel des Sarges schloss sich, und ich starrte in die Schwärze hinauf.
Ich lag da, kaum imstande, das zu begreifen, was ich soeben gehört hatte.
Meine Kinder.
Ein Sohn und eine Tochter.
Taran.
Lyan.
Während meines Schlafes am folgenden Tag stellte ich mir vor, wie Calyx und ihre Verbündeten herkommen würden, um das Silber um meinen Hals, in meinem Herzen und an meinen Handgelenken zu zerbrechen. Wie wir
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