Die kalte Koenigin
heute Nacht.«
»Die Wache wird bald abgelöst. Ich muss gehen.«
Ich wiederholte meine erste Frage. »Warum hilfst du uns?«
»Du musst dies beenden«, erwiderte sie. »Es ist nicht unser Werk. Ich rufe unsere Göttin an, vernehme aber keine Antwort auf mein Gebet. Viele Leute haben vergessen, wie die Welt aussah, bevor die Plagen kamen. Bevor der Alchimist diese Stadt erbaute. Bevor die Schatten flüsterten. Einige glauben nicht, dass die Welt sich überhaupt verändert hat, sondern meinen, dass sie schon immer so gewesen sei und auch immer so sein wird – für immer und ewig.«
»Wirst du uns befreien?«
Sie nickte. »Es ist jetzt nicht sicher. Die Moms ziehen über den Himmel. Die Chymerwölfe jagen auf dem Waldgrund. Aber bald.«
»Wann?«
Das Echo von Schritten hallte durch den langen Korridor außerhalb der Kammer. Calyx verhüllte ihr Gesicht wieder und beugte sich zu mir, um mir ins Ohr zu flüstern: »Morgen Abend, in der Dämmerung. Da steht eine Vampyrin in der Arena, die du erschaffen hast. Sie ist auferstanden und kennt unsere Sorgen.«
Sie legte mir die Halsfessel wieder um und verließ den Raum. Ich hörte, wie Katzen über den Boden huschten und miauten, während sie ihrer Herrin durch die Tür nach draußen folgten.
»Ewen«, keuchte ich, wobei meine Stimme kaum noch hörbar war.
Ich hatte seine Präsenz seit der Nacht des letzten Spiels nicht mehr gespürt.
Es war beinahe Dämmerung, als ich jenseits der schwarzen Decke meines Sarges erstickte Stimmen hörte.
Zwei Kinder näherten sich dem Sarg. Sein Deckel wurde von einem Diener geöffnet, der eine Fackel hielt, damit die beiden einen besseren Blick hatten.
»Sie würde mich in einen Schmelzofen werfen, wenn sie herausfände, was ich getan habe«, bemerkte der ältliche Diener.
Seine Stimme klang brüchig, als hätte er einen guten Schluck nötig. Er sprach mit einem Akzent, als käme er von den Feldem – das war ein Dialekt, den ich erkannte, da ich selbst im Schlamm und den Marschen aufgewachsen war.
Das eine Kind, ein Knabe, besaß Haare, so golden, als wäre er von der Sonne selbst berührt worden. Das Mädchen verfügte über lange, dunkelrote Locken, die so wirr aussahen, als wäre sie soeben aus dem Bett aufgestanden. Anfangs sagten beide kein Wort. Ihr Bediensteter, ein großer und dünner Mann mit verkrümmter Wirbelsäule, der so leise sprach, dass ich ihn nicht verstehen konnte, schien zu wollen, dass sie diesen Ort rasch wieder verließen.
»Wir werden gehen, sobald wir fertig sind«, erwiderte das Mädchen. Ihre Stimme klang ihren Jahren deutlich voraus.
»Sieh nur das Silber um seinen Hals«, sprach der Knabe, indem er darauf zeigte. Er griff danach und berührte meine Halsfessel. Dann ließ er seine kleinen Finger über meine Kehle und mein Kinn gleiten. Er teilte meine Lippen und keuchte auf. »Ich hatte gehört, sie seien länger.«
»Wie die eines Wolfes«, ergänzte das Mädchen.
»Sie sind klein. Wie die eines Hundes«, meinte er kichemd. »Warum haben Menschen Angst vor diesen Wesen?« Er schlug
mich erst auf die linke Wange und dann auf die rechte. »Sie sind schwache Dämonen.«
Der Diener packte den Knaben am Arm und zog ihn nach hinten. Der Knabe riss sich von dem Mann los und schalt ihn. »Ich werde dich auspeitschen lassen, wenn du mich noch einmal anfasst, Constantine«, sagte er zu dem alten Mann. »Dich – und dein Frauenzimmer ebenfalls. Ihr werdet ausgezogen, ausgepeitscht und ohne Nahrung oder Wasser am Pranger zurückgelassen.«
Der Knabe nahm dem Bediensteten die Fackel aus der Hand und hielt die Flamme nach unten, dicht über den Sarg, um ihn zu beleuchten. »Er trägt Lumpen. Ich hörte, er sei ein Dämonenfürst. Aber er ist einfach ein... ein Bettlerdämon.« Als er dies aussprach, lachte er. Er trat von mir fort, und als er ein Stück entfernt war, hörte ich ihn sagen: »Komm von dort weg, Lyan. Vielleicht leiden sie an einer Plage.«
Das Mädchen spähte über den Rand des Sarges. Ihre Augen waren so dunkel wie Walnüsse, ihre Wangen und ihr Nasenrücken mit Sommersprossen übersät. Sie sah aus, wie Alienora wohl als kleines Mädchen ausgesehen haben musste. Mein Herz schlug schneller, als ich sie ansah, trotz des Schmerzes, den die Kugel verursachte, die in meine Brust eingedrungen war. »Meinst du wirklich, dass er es ist, Taran?«
Der Knabe stieß wütend hervor: »Glaube nicht die Lügen, die du von Sklaven hörst. Diese Bestien sind wie die Moms vor den Foltern. Sie
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