Die kalte Legende
und lässt sich leicht in eine Zielstadt einschmuggeln. Gezündet wird sie mit einem einfachen Zeitzünder. Eine MK 47 enthält zehn Kilo Uran, die Sprengwirkung entspricht etwa tausend Tonnen TNT, ein Zwanzigstel der Hiroshimabombe.«
»Er fragt, welche Haltbarkeit diese Kofferbomben haben.«
»Die Russen haben ihre Atomsprengladungen seit den Achtzigerjahren immer wieder verkleinert. Alles, was sie auf Vorrat haben, müsste etwa noch zehn bis fünfzehn Jahre halten.«
»Er will wissen, ob so eine Kofferbombe erhältlich ist.«
»Aus nahe liegenden Gründen hält das russische Militär diese Bomben streng unter Verschluss, mit scharfen Kontrollen und Sicherheitsmaßnahmen. Aber wenn jemand eine entsprechend hohe Summe bietet und dem Verkäufer eine sichere Ausreise aus Russland garantiert, ließe sich bestimmt eine Lösung finden.«
»Er fragt, was unter einer entsprechend hohen Summe zu verstehen ist.«
»Wieder grob geschätzt, drei bis fünf Millionen Dollar pro Kofferbombe.«
Der Saudi ließ sich gegen das Kissen sinken, das hinter ihm an der wand befestigt war, und kratzte sich nachdenklich am Oberarm und an den Rippen. Lincoln sah, dass der Saudi schwitzte, obwohl es kühl im Raum war, dass der Schweiß auf seiner Stirn sich zu feinem, weißem Pulver zu kristallisieren schien.
»Er sagt, wir konzentrieren uns fürs Erste auf die Plutonium- oder Uran-Pits. Er sagt, niemand kann sagen, was die Zukunft bringt. Vielleicht kommt er irgendwann wegen der Kofferbomben wieder auf Sie zu.«
Lincoln lächelte und nickte. »Das liegt ganz bei Ihnen.«
Neben dem Saudi standen eine große Glasschüssel mit Obst und eine weitere voller Nüsse. Mit einer Hand, die zuerst auf die eine, dann auf die andere deutete, forderte er seinen Gast auf zuzugreifen. Lincoln nahm sich ein paar Nüsse. »Er sagt, abends wird es kalt hier draußen«, übersetzte der Sekretär. »Er fragt, ob Sie und Ihr Freund einen Kräutertee möchten.«
Lincoln blickte über die Schulter zu Leroy und sagte: »Er bietet uns heißen Kräutertee an.«
»Frag, ob sie nicht was mit etwas mehr Alkohol drin haben«, sagte Leroy.
»Leroy, diese Leute trinken keinen Alkohol. Das verbietet ihre Religion.«
»Menschenskind. Wie können sie erwarten, dass irgendwer zu einer trockenen Religion konvertiert?«
Der Saudi hatte das Wesentliche von Leroys Bemerkung anscheinend verstanden, denn er erwiderte sofort etwas auf Arabisch. Der Sekretär sagte: »Er hat die Geschichte von dem Zaren erzählt, der Russland zum Christentum bekehrt hat – das war gegen Ende des ersten Jahrtausends. Wladimir von Kiew fand den Islam verlockend, entschied sich aber dagegen, weil er nicht glaubte, dass die Russen ihre grausamen Winter ohne etwas überstehen könnten, das die arabischen Apotheker, die Erfinder der Destillation, al-kuhl nannten. Die Geschichte wäre vielleicht anders verlaufen, wenn der Prophet dem Alkohol nicht entsagt hätte – der lange Kalte Krieg wäre zwischen dem Christentum und dem Islam ausgetragen worden.«
Lincoln sagte: »Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion kommt vielleicht ein anderer Kalter Krieg – ein neuer Kampf um Jerusalem zwischen den geistigen Nachfahren von Richard Löwenherz und den Erben des Sultan Saladin.«
Während er der Übersetzung lauschte, nahm der Saudi ein Glas mit Wasser, steckte sich zwei große ovale Pillen in den Mund und spülte sie mit einem langen Schluck hinunter. Lincoln sah, wie der Adamsapfel in dem langen Hals hüpfte. Dann wischte der Saudi sich mit einem Ärmelende über die Lippen und sagte langsam: »Ein neuer Kampf ist durchaus möglich.«
»Sie sprechen unsere Sprache?«, fragte Lincoln ihn direkt.
Der Saudi antwortete auf Arabisch, und der Sekretär übersetzte.
»Er sagt, er spricht Ihre Sprache genauso gut wie Sie Arabisch.«
Lincoln grinste. »Ich verstehe nur vier arabische Wörter: Allahu Akbar und Inch’Allah. «
»Er beglückwünscht Sie. Er sagt, wer nur diese vier Worte versteht, begreift das Wesen des Heiligen Korans. Er sagt, es gibt fromme Männer, Nachfahren des Propheten, die alle einhundertvierzehn Suren auswendig können, aber die Bedeutung dieser vier Wörter nicht in ihrem Herzen tragen.«
Lincoln blickte den Saudi an. »Sind Sie fromm? Praktizieren Sie Ihre Religion?«
»Er sagt, er praktiziert sie so viel wie nötig, um ein gläubiger Muslim zu sein. Er sagt, er wohnt im Dar al-Harb, wie die Muslime sagen, im Haus des Krieges, daher praktiziert er vor allem den Dschihad.
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