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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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könnte das bedeuten, Archie?«
    »Da gibt’s mehrere Möglichkeiten. Der Anfang einer chronischen Nierenerkrankung zum Beispiel. Lebensbedrohlich wird so etwas erst nach fünf oder zehn Jahren.«
    »Er hat Tabletten genommen«, erinnerte Lincoln sich.
    »Kleine? Große? Haben Sie gesehen, welche Farbe oder Form die hatten?«
    »Oval. Sehr groß, jedenfalls so groß, dass ich Probleme hätte, sie runterzuschlucken. Es war dunkel, deshalb bin ich mir bei der Farbe nicht sicher. Vielleicht gelb. Gelb oder orange.«
    »Hm. Wenn es die Nieren sind, fallen mir etliche Medikamente ein. Kalziumkarbonat und Kalziumazetat – beides gibt es als große, gelbliche, ovale Pillen. Man muss sie mehrmals am Tag einnehmen, um den Phosphorgehalt im Blut zu senken, wenn die Nieren nicht mehr richtig filtern. Wichtig wäre auch eine bestimmte Diät – Milchprodukte, Leber, Gemüse und Nüsse enthalten viel Phosphor und sind verboten.«
    Lincoln fiel noch eine Kleinigkeit ein. »Zwischen uns auf dem Boden stand eine Schüssel mit Nüssen – er hat mir welche angeboten, aber er selbst hat keine gegessen.«
    Zum ersten Mal wirkte Quest erfreut. »Damit müssten wir was anfangen können. Ein Saudi, der von Khartum aus arbeitet und möglicherweise an einer chronischen Nierenerkrankung leidet – wenn er Pillen nimmt, heißt das, er ist von irgendeinem Arzt oder sogar in einem Krankenhaus untersucht worden. Wenn Sie sich ausgeschlafen haben, Lincoln, möchte ich, dass Sie sich mit einem unserer Künstler im zweiten Stock zusammensetzen. Vielleicht kriegen Sie ein ganz passables Porträt zustande. Inzwischen lasse ich von unseren Leuten genügend Ammoniumnitrat auftreiben, um einen Umzugslaster zu füllen, damit Sie Ihr Rendezvous mit dem Möchtegernattentäter Leroy Streeter in New Jersey einhalten können.«
    »Soll ich in der Neumondnacht noch einmal nach Boa Vista, um dem Saudi radioaktiven Abfall zu verkaufen?«, fragte Lincoln.
    »Ich glaube, das ist nicht erforderlich«, sagte Quest. »Wir haben einen guten Draht zum SIDE. Wir schicken den Leuten vom argentinischen Geheimdienst ein paar Fallschirmjäger zur Unterstützung. Die können Boa Vista in der Neumondnacht einkesseln –«
    »Das ist der Vierte nächsten Monats«, sagte einer von Quests Leuten.
    »Wir lassen den Saudi vom SIDE ergreifen und ordentlich in die Mangel nehmen.« Mit einem rauen Lachen fügte sie hinzu: »Deren Verhörmethoden sind nicht ganz so kultiviert wie unsere, aber wesentlich kostengünstiger. Wenn sie mit ihm fertig sind, können sie ihn an einen von Daouds Alligatoren verfüttern, dann hat Amerika einen Feind weniger am Hals.«
    »Ich möchte, dass wir die Italienerin in Sicherheit bringen, bevor da die Hölle losbricht«, sagte Lincoln. Er hantierte mit seinem Stock und legte ihn mit der Spitze auf Crystal Quests Schreibtisch. »Ich will nicht, dass sie so endet wie Djamillha in Beirut.«
    »Sie sind ja ein Romantiker«, nörgelte Quest. »Wir schaffen sie rechtzeitig raus.«
    »Ich möchte, dass Sie mir Ihr Wort geben.«
    Das plötzliche Schweigen im Raum dröhnte Lincoln in den Ohren. Quests Leute hatten noch nie erlebt, dass jemand so mit ihr sprach. Sie blickten ihre Chefin gebannt an, als wollten sie auf keinen Fall verpassen, wenn sie in die Luft ging. Die Farbe wich aus ihren geschminkten Wangen, ihre Augen traten aus den Höhlen, und sie sah aus, als würde sie an einer Gräte im Hals ersticken. Dann drang zwischen ihren knallroten Lippen ein schauerlich meckernder Ton hervor. Es dauerte einen Augenblick, bis alle im Raum begriffen, dass sie lachte. »Wir holen die Frau da raus, Lincoln«, sagte sie und schnappte nach Luft. »Sie haben mein Wort.«
    Sie trafen sich gut eine Stunde vor Tagesanbruch in einem riesigen leer stehenden Hangar unter einer Krümmung des Pulaski Skyway, zwanzig Minuten vom Holland-Tunnel entfernt, der nach Manhattan führt. Im hinteren Teil des Hangars waren Teile des Wellblechdachs eingesackt und bildeten praktisch eine Wand, die vor den Windböen schützte, die von der Küste heranfegten. Hinter dem Hangar, auf einem Platz, der mit leeren Plastikflaschen übersät war, brannte ein kleines Lagerfeuer. An die zwanzig Wanderarbeiter, die keine Unterkunft hatten und sich auf den Docks von Hoboken verdingten, saßen mit dem Rücken gegen den klapprigen Laster gelehnt, der ihnen als mobiler Schlafplatz diente, und tranken Kaffee, der über dem offenen Feuer aufgebrüht worden war. Der feuchte Wind wehte das aus dem Radio

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