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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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seine Klöße gegen Radeks Gemüse und nahm sich die Hälfte der Salzkartoffeln. Der Wein schmeckte nach Anis, erinnerte stark an griechischen Ouzo und ließ sich einigermaßen trinken, nachdem die ersten Schlucke die Kehle betäubt hatten. Radek saß Martin gegenüber, wischte mit vertrockneten Brotstücken seine Schüssel aus und spülte mit Wein nach. »Mein Traum ist es, irgendwann in den USA zu leben«, gestand er und angelte mit der Zunge nach Speiseresten zwischen den Zähnen. »Stimmt es, dass man die Straßen da mit Sony Walkmen pflastert, wenn ihnen die Steine ausgehen?«
    Martin lehnte sich zurück und gönnte sich eine Beedie. »Wo haben Sie den Quatsch denn her?«
    »Stand in der Satirezeitschrift bei uns an der Uni.«
    »Man darf nicht alles glauben, was in Satirezeitschriften steht. Lassen Sie bitte die Rechnung bringen.«
    Als die Rechnung kam, nahm Radek sie gründlich in Augenschein und legte sich mit dem Restaurantbesitzer an, der schließlich zwei Posten strich und den Preis für den Wein senkte. »Durch mich haben Sie jetzt sechzig Kronen gespart, zwei lausige Dollar«, sagte Radek. »Das ist mein Honorar für zwei Stunden, Mister. Also, wohin jetzt?«
    »Zur Svobodova-Straße, mit der Bahn.«
    »Wie kommt es, dass ein reicher Amerikaner wie Sie nicht mit dem Taxi fährt?«
    »Ich glaube, eine Stadt lernt man am besten kennen, wenn man öffentliche Verkehrsmittel benutzt.«
    Radek schüttelte fassungslos den Kopf. »Und hier träumen alle Leute davon, mal Taxi zu fahren. Wollen Sie zum Bahnhof von Vyšehrad?«
    »Ich würde gern hundert Meter früher aussteigen und den Rest zu Fuß gehen, als Verdauungsspaziergang.«
    Radek legte einen Zeigefinger an die Nase. »Sie wollen den Laden vorher auskundschaften.«
    »Mm-hm. Gehen wir.«
    Während er hinten in der Straßenbahn saß und dem Funkengeknister der Oberleitung lauschte, musterte Martin die Leute um sich herum auf der Suche nach einem Gesicht, das auffällig wenig Interesse an ihm zeigte. Normalerweise rühmte er sich, mit einer Menschenmenge verschmelzen zu können, selbst wenn gar keine da war. Jetzt jedoch fehlte ihm einfach die Zeit für die üblichen Vorsichtsmaßnahen. Mit seiner amerikanischen Kleidung, vor allem den Schuhen, fiel er hier unweigerlich auf, und die Leute beäugten ihn zum Teil mit unverhohlener Neugier. Jemand, der ihn verfolgte, so wusste er, würde ihn tunlichst gar nicht ansehen. Auf der langen Fahrt mit einmal Umsteigen im Viertel Malá Strana hatte Martin, noch immer ein Spezialist in derlei Dingen, nicht das Gefühl, verfolgt zu werden. Was, wie er aus Erfahrung wusste, auch bedeuten konnte, dass seine Verfolger sehr gut waren. Radek fiel auf, wie er die anderen Leute in Augenschein nahm. »Ich glaube, ich weiß, was Sie wollen«, sagte er und beugte sich näher, damit die hagere Frau, die auf der anderen Seite des Ganges saß und den Amerikaner unverfroren anstarrte, ihn nicht verstehen konnte. »Cannabis, Ganja, Hanf, Haschisch, Bhang, Sinsemilla, Kokain, Crack, Engelsstaub, Horse, Methadon, LSD, PCP, Uppers, Downers … Egal, was Sie wollen, Radek besorgt es für weniger lausige Dollar, als Sie mir am Tag bezahlen.«
    »Die Hälfte davon sagt mir überhaupt nichts«, entgegnete Martin.
    »Ich will mir bloß ein bisschen die Beine vertreten, wenn wir kurz vor dem Bahnhof in Vyšehrad sind.«
    »Nächste Haltestelle«, sagte Radek, sichtlich enttäuscht, dass seine Beschaffungstalente nicht auf die Probe gestellt wurden. Er zog an der Kordel, die oberhalb der Fenster über die gesamte Länge der Bahn gespannt war, und ganz vorn ertönte eine Glocke. Sobald die Bahn quietschend zum Stillstand gekommen war, öffneten sich ächzend die Türen. Martin und sein Begleiter stiegen aus, und Radek deutete mit der Nase in eine Richtung. In der Ferne, auf der anderen Seite der breiten Straße, sah Martin ein heruntergekommenes, geschmackloses Gebäude, auf dessen marodes, mit Tauben übersätes Dach die letzten, schrägen Strahlen der über der Moldau hängenden Sonne fielen. Er wandte sich zu Radek um und hielt ihm die Hand hin. »Ab jetzt komme ich ohne Sie zurecht«, sagte er.
    Radek blickte bedrückt. »Sie haben für zehn Stunden bezahlt, Mister. Ich schulde Ihnen noch siebeneinhalb.«
    »Der Rest ist Trinkgeld.« Als Radek die ihm dargebotene Hand nicht ergriff, hob Martin sie an die Schläfe und salutierte freundlich.
    »Viel Glück mit Ihren Amerika-Plänen, Radek.«
    »Ich könnte mich dafür ohrfeigen, dass ich nur

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