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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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gebrochenen Knöchel eines Dissidenten behandelte und dann vor Gericht auf unschuldig plädierte. Gleichzeitig bekannte er sich schuldig, den Kommunismus reformieren zu wollen, weil der ohne Reform nicht überlebensfähig sei. Das hat er sehr genau erläutert. Er war der Vorläufer der Reformer nach ihm: Dubček in der Tschechoslowakei und schließlich Gorbatschow in der Sowjetunion.«
    Ein aufrichtiges Lächeln erschien auf Susanna Slánskás Gesicht.
    »Ja, er war seiner Zeit voraus, was in manchen Ländern als Kapitalverbrechen gilt. Die Behörden in den USA haben wenig Verständnis für ihn gezeigt – man könnte meinen, es hat ihnen nicht in den Kram gepasst, dass da einer den Kommunismus reformieren wollte, weil sie fürchteten, es könnte ihm gelingen. Mein Mann wurde zum Staatsfeind erklärt und wegen antikommunistischer Umtriebe zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Mir erging es wie der Dichterin Achmatowa: Zu jeder Jahreszeit stand ich am Gefängnis in der Schlange, um Päckchen mit Socken, Seife und Zigaretten für den Häftling 277103 abzugeben. Die Nummer hat sich mir ins Gedächtnis eingebrannt. Die Wärter haben den Empfang der Päckchen quittiert und versprochen, sie abzuliefern. Eines Tages dann wurde mir eines meiner Päckchen per Post zurückgeschickt mit dem Stempel VERSTORBEN. Warum die Bürokratie in Killerstaaten dazu neigt, sich streng an Regeln und Vorschriften zu halten, hat mir noch niemand befriedigend erklären können. Jedenfalls, auf diese Weise habe ich erfahren, dass mein Mann, der Häftling Slánsk, nicht mehr lebt.« Susanna Slánská hob eine Hand, um den Zigarrenqualm wegzuwedeln, der vom Nachbartisch herüberkam. »Könnte ich noch eine von Ihren seltsamen Zigaretten haben? Der Eukalyptus hilft mir, den Gestank der Zigarren zu ertragen. Ach, Mr. Odum, glauben Sie mir, wenn man sich mit den Schikanen abfinden konnte, war das Dissidententum wirklich anregend.«
    »Was für Schikanen gab es denn noch außer dem Gefängnis?«
    »Man verlor seine Arbeit, man musste in eine Fünfzig-Quadratmeter-Wohnung umziehen, in der schon zwei Paare wohnten, man wurde zur Therapie in eine psychiatrische Klinik eingewiesen, um aufzuarbeiten, wieso man ein System kritisierte, das doch im Grunde vollkommen war. Wenn wir uns spätabends in einer Wohnung trafen, um zu diskutieren, zum Beispiel über Solschenizyns Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch, dachte unsere kleine Gruppe über mögliche Entwicklungen nach, ging im Geist alle Szenarien durch – nur eine Möglichkeit zogen wir nie in Erwägung: Dass nämlich aus den Gangstern, die in der Sowjetunion herrschten, freischaffende Gangster werden könnten, als der Kommunismus zusammenbrach. Im Rückblick ist mir klar, dass wir unglaublich naiv waren. Die Hochstimmung hat uns blind gemacht – jedes Mal, wenn wir miteinander schliefen, dachten wir, es wäre das letzte Mal. Das machte uns zu leidenschaftlichen Liebenden, bis der Tag kam, an dem niemand mehr da war, mit dem wir schlafen konnten. Und dann waren wir keine Liebenden mehr, sondern Hassende.«
    »Und die preiswerten Medikamente – wie sind Sie dazu gekommen?«
    »Ich war ausgebildete Krankenschwester, und nach dem Prozess gegen meinen Mann traute sich kein Arzt mehr, mich einzustellen. Jahrelang habe ich mich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen – in Arztpraxen geputzt, in Mietshäusern in aller Herrgottsfrühe die Mülltonnen rausgeschleppt. Als unsere eigenen Kommunisten 1989 endlich entmachtet wurden, beschloss ich, das zu tun, wovon mein Mann immer geträumt hatte: Generische Präparate so preiswert wie möglich an die Dritte Welt zu verkaufen. Ich habe Samat während eines seiner ersten Aufenthalte in Prag kennen gelernt und ihm von meiner Idee erzählt. Er war sofort einverstanden, die Sache finanziell zu unterstützen, als Geschäftszweig seines bereits bestehenden humanitären Unternehmens ›Soft Shoulder‹. Mit seinem Geld konnten wir den Vyšehrad-Bahnhof mieten und die ersten Generika kaufen. Inzwischen kann ich mir vier Leute für den Versand und eine Sekretärin leisten, die stundenweise kommt. Ich wollte Samat einmal das Geld zurückzahlen, aber er hat sich geweigert. Ich finde wirklich, er ist so was wie ein Heiliger.«
    »Ich nehme an, man muss schon ein Heiliger sein, wenn man die Gebeine eines Heiligen in die Heimat zurückführen will«, sagte Martin.
    »Ich war es, die Samat von den jüdischen Thorarollen in der litauischen Kirche erzählt hat.« Wieder hob

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