Die kalte Legende
was?«, fragte der Rabbi rechts von Shulman.
»Ich will mich scheiden lassen«, verkündete Samat.
»Und warum die Eile?«, fragte der dritte Rabbi. »Warum hat das nicht Zeit bis Montagmorgen?«
Stella improvisierte. »Er hat für heute Abend einen Flug nach Moskau gebucht.«
»Auch in Moskau gibt es orthodoxe Rabbis«, erwiderte Shulman.
In einem Bambuskäfig, der auf einer hölzernen Trittleiter vor einem deckenhohen Bücherregal stand, hüpfte ein grüner Vogel mit krummem Schnabel und einem leuchtend roten Fleck zwischen den Augen auf eine höhere Stange und verkündete deutlich vernehmbar: » Los im sain, los im sain. «
Rabbi Shulman blickte verlegen. »Mein Papagei spricht Jiddisch«, erklärte er. » Los im sain bedeutet, er soll seinen Willen haben.« Er lächelte seine Kollegen an. »Vielleicht will Ha Schem, selig sei Sein Name, uns ja damit etwas sagen.« Der Rabbi wandte sich wieder an Samat. »Ich nehme an, Sie haben einen Ausweis dabei.«
Samat reichte dem Rabbi seinen israelischen Pass.
»Sie sind Israeli?«, sagte Shulman sichtlich überrascht. »Sprechen Sie Hebräisch?«
»Ich bin aus der Sowjetunion nach Israel ausgewandert. Ich spreche Russisch.«
»Die Sowjetunion gibt’s nicht mehr«, stellte Shulman klar.
»Ich meinte natürlich aus Russland«, sagte Samat.
»Entschuldigen Sie die Frage«, schaltete sich der Älteste der drei Rabbiner ein, »aber sind Sie Jude?«
»Meine Mutter ist Jüdin, dadurch bin ich Jude. Der israelischen Einreisebehörde hat das als Beleg genügt, um mich einreisen zu lassen.«
Stella erläuterte in groben Zügen die Situation, während sich Shulman Notizen machte, trat dann vor und reichte den Rabbis einen Zettel, auf dem die Scheidungsbedingungen dargelegt waren. Unten auf dem Blatt hatte Samat unterschrieben.
Einer der älteren Rabbiner blickte Martin an. »Und wer sind Sie?«
»Das ist eine gute Frage, Rabbi«, erwiderte Martin.
»Vielleicht möchten Sie sie gern beantworten«, schlug Shulman vor.
»Ich heiße Martin Odum.«
Shulman räusperte sich. Die drei Rabbiner beugten sich über Samats Pass. »Das Foto sieht dem Gentleman überhaupt nicht ähnlich«, bemerkte einer der drei.
»Ich hatte keinen Bart, als ich nach Israel kam«, erklärte Samat.
Stella sagte: »Schauen Sie genau hin – an den Augen erkennen Sie eindeutig, dass es derselbe Mann ist.«
»Nur Frauen sind imstande, Männer an den Augen zu identifizieren«, sagte Shulman. Dann wandte er sich an Samat. »Sie versichern, dass Sie der Samat Ugor-Shilow sind, der mit –«, er war einen Blick auf die Notizen, »Ya’ara Ugor-Shilow, wohnhaft in Qiryat Arba, verheiratet ist?«
»Ja, das ist er«, sagte Stella.
Der Rabbi warf ihr einen gequälten Blick zu. »Er muss selbst antworten.«
»Ja, der bin ich«, sagte Samat. Er blickte zu Martin hinüber, der an der Wand neben der Tür lehnte, eine Hand in der Jackentasche.
»Sind aus der Ehe Kinder hervorgegangen?«
Stella schaltete sich ein. »Aus einer nicht vollzogenen Ehe können keine Kinder hervorgehen.«
Einer der älteren Rabbis belehrte sie ungehalten. »Lady, da er sich nicht gegen die Scheidung ausspricht, erzählen Sie uns mehr, als wir wissen müssen.«
Shulman fuhr fort: »Sind Sie, Samat Ugor-Shilow, bereit, Ihrer Frau Ya’ara Ugor-Shilow eine Scheidung im jüdischen Glauben – die wir get nennen – aus freiem Willen zu gewähren, so wahr Ihnen Gott helfe?«
»Ja, ja, sie soll ihren verdammten get haben«, erwiderte Samat ungeduldig. »Ihr braucht viele Worte für so etwas Unkompliziertes wie eine Scheidung.«
»Die Kabbala lehrt uns«, erwiderte Shulman unter beifälligem Nicken seiner Kollegen, »dass Gott das Universum aus der Energie geschaffen hat, die in Worten steckt. Aus der Energie Ihrer Worte, Mr. Ugor-Shilow, schaffen wir eine Scheidung.«
Stella lächelte Martin quer durch den Raum an. »Ich weiß schon länger, dass Worte Energie haben.«
»Fahren wir fort«, drängte Shulman. »Laut den Bedingungen des get « , las er von Stellas Zettel ab, »gehen sämtliche materiellen Güter, die Sie in Israel besitzen, darunter ein Haus in der jüdischen Siedlung Qiryat Arba, ein Wagen der Marke Honda und Ihre sämtlichen Konten bei israelischen Banken in den Besitz Ihrer Frau über.«
»Dem hab ich doch schon zugestimmt. Ich hab das Papier unterschrieben.«
»Wir müssen uns vergewissern, dass Sie verstehen, was Sie unterschrieben haben.«
»Und dass niemand Sie zu der Unterschrift gezwungen hat«,
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