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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Selbst der angeschlagene Schneidezahn, der ihm am Tag zuvor geradezu unansehnlich erschienen war, wirkte jetzt wie ein Pluspunkt.
    »Na, wenn das nicht unser barfüßiger Privatschnüffler Martin Odum ist«, sagte Stella mit spöttischem Grinsen. Sie ließ ihn herein und schob seinen Koffer unter einen Stuhl. »In dem Mantel«, sagte sie, als sie ihm den Trenchcoat abnahm und an die Garderobe hängte, »sehen Sie aus wie ein Korrespondent aus dem Ausland. Ich habe Sie vor zehn Minuten vorbeihumpeln sehen«, verkündete sie, als sie ihn eine Treppe hinauf und in eine fensterlose Kammer führte.
    »Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass Ihr Bein wehtut. Ich bin außerdem zu dem Schluss gekommen, dass Sie paranoid sind. Ich wette, Sie haben mich nicht von zu Hause angerufen, sondern von einer Telefonzelle aus.«
    Martin grinste. »An der Schenectady, Ecke Lincoln, gibt es eine Telefonzelle, die riecht wie eine Dose Terpentin.«
    Eine dröhnende Stimme hinter Martin rief: »Meine liebe Stella, wann lernst du endlich, dass einige Paranoide reale Feinde haben. Ich hab oben vom Fenster gesehen, wie er die President Street entlanggehumpelt ist. Unser Besucher hat den gehetzten Blick eines Menschen, der zweimal um den Block geht, bevor er seine Mutter besucht.«
    Martin fuhr herum und sah sich einem korpulenten Mann gegenüber, der einen Frotteebademantel trug und etwas eingezwängt in einem Elektrorollstuhl saß. Mit den nikotingelben Fingern der einen Hand kratzte er sich geräuschvoll die stoppelige Wange, während er mit der anderen einen kleinen Joystick bediente. Er steuerte den Rollstuhl in die Kammer, stieß die Tür mit dem Ellbogen hinter sich zu und setzte rückwärts bis an die Wand. Die nackte Glühbirne, die von der Decke baumelte, erhellte sein fahles Gesicht. Als Martin genauer hinsah, kam es ihm irgendwie bekannt vor: In einer seiner Inkarnationen hatte er mal ein Foto dieses Mannes in einer Kartei gesehen. Aber wann? Und unter welchen Umständen?
    »Mr. Martin Odum und ich«, knurrte der Mann mit der rauen Stimme eines Kettenrauchers, »sind vom gleichen Schlag. Die Grundregeln der Spionage sind unsere Kabbala.« Er riss ein Streichholz an der Wand an und erweckte eine übel riechende Zigarette zum Leben.
    »Und deshalb unterhalten wir uns hier in diesem sicheren Raum«, fuhr er rasch fort und deutete mit einer ausladenden Armbewegung auf die Regale mit Haushaltsartikeln, die Schrubber und Besen und den Staubsauger, die Zeitungsstapel, die darauf warteten, im Altpapier zu landen. »Wir beide wissen, dass es Organisationen gibt, die übers Festnetz Gespräche abhören können, auch wenn die Telefone auf der Gabel liegen.«
    Stella sagte förmlich: »Mr. Odum, ich darf Ihnen meinen Vater vorstellen, Oskar Alexandrowitsch Kastner.«
    Kastner nahm eine Tula-Tokarev mit Perlmuttgriff aus der Tasche seines Bademantels und legte die Pistole auf ein Regal. Martin, der die Bedeutung von Gesten verstand, bestätigte Kastners Selbstentwaffnung mit einem Nicken.
    Das Gerede von Grundregeln der Spionage hatte eine Erinnerung ausgelöst. Plötzlich wusste Martin wieder, in welcher Kartei er auf das Gesicht von Stellas Vater gestoßen war: in der mit Fotos von sowjetischen Überläufern. »Ihre Tochter hat zwar erwähnt, dass Sie Russe sind«, sagte Martin bedächtig. »Aber sie hat verschwiegen, dass Sie beim KGB waren.«
    Mit einem erfreuten Nicken deutete Kastner auf einen Plastikhocker. Martin zog ihn näher heran und nahm Platz. Stella lehnte an einer zusammengeklappten Trittleiter, saß halb auf einer der Stufen. »Sie sind ein flinker Kopf, Mr. Martin Odum«, räumte Kastner ein und seine buschigen Brauen tanzten über den dicken Augenlidern. »Mein Körper ist langsamer geworden, aber mein Verstand funktioniert einwandfrei, weshalb ich nach wie vor meine Rentenschecks einlöse. Es versteht sich zwar von selbst, aber ich sage es trotzdem: Ich habe Sie überprüft, bevor ich Stella bei Ihnen hab vorfühlen lassen.«
    »Ich wüsste gar nicht, bei wem Sie irgendwas über mich hätten erfahren können«, bemerkte Martin, der Kastners Informationsquelle gern erfahren hätte.
    »Jemand in Washington hat mir Ihren Namen genannt und versichert, Sie seien für jeden Job, den ich für Sie hätte, überqualifiziert. Sicherheitshalber habe ich diskret Erkundigungen eingeholt – ich habe mit einem Russen in Little Odessa gesprochen, dessen Exfrau seinen Rottweiler gestohlen hat, als er mit der Unterhaltszahlung in Verzug

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