Die kalte Legende
der Organisation hochgearbeitet. Er hat das Hütchenspiel nach Russland gebracht. Das spielen die Schwarzen auf der Rogers Avenue, haben Sie bestimmt schon mal gesehen. Die falten deinen Zehndollarschein ganz klein zusammen, legen ihn unter ein Hütchen und bewegen es zusammen mit zwei anderen Hütchen. Wenn sie anhalten, ist dein Geldschein verschwunden. Das Gleiche hat Samat auch gemacht, nur im sehr viel größeren Stil.«
»Und das ist der russische Lubawitscher, der Ihre Tochter heiraten und in Israel leben wollte?«
Kastner nickte schwer. »Irgendwann hat die CIA mich gebeten, Samat anzuwerben. Sie arrangierten ein Telefonat zwischen mir und ihm, als er in Genf war. Ich habe ihm eine Summe genannt, die für ihn auf ein Geheimkonto eingezahlt würde, wenn er herüberkäme. Er hat gelacht und erwidert, die von uns vorgeschlagene Geldsumme hätte er als Kleingeld in der Tasche. Er meinte, die CIA könnte ihm nicht mal ein Zehntel von dem zahlen, was er normalerweise verdiente. Sobald Samat wieder in Russland war, hängte er es gleich an die große Glocke, dass die CIA ihn hatte anwerben wollen. In der Prawda erschien sogar ein satirischer Artikel über den unbeholfenen Kontaktversuch eines Überläufers.«
»Wann hat Samat Sie wegen der Heirat mit Ihrer Tochter kontaktiert?«, fragte Martin.
»Nicht Samat hat Kastner kontaktiert«, sagte Stella. »Sondern Samats Boss, der zufällig Samats Onkel war – der Bruder seines Vaters.«
Martin blickte von einem zum anderen. »Und wer war Samats Boss?«
Kastner räusperte sich. »Ein gewisser Tsvetan Ugor-Shilow, auch bekannt als der Oligarch.«
» Der Tsvetan Ugor-Shilow, der Anfang der Neunziger auf dem Titelblatt vom TIME Magazine war?«
»Es gibt nur einen Tsvetan Ugor-Shilow«, erwiderte Kastner verbittert.
»Wussten Sie, dass Samat für Tsvetan Ugor-Shilow arbeitete, als Sie der Heirat Ihren Segen gaben?«
Kastner sah seine Tochter an, dann senkte er den Blick. Das Thema war offenbar ein wunder Punkt zwischen ihnen. Stella antwortete für ihren Vater. »Es war kein Zufall, dass Tsvetan Ugor-Shilow Kastner kontaktiert hat – die beiden kannten sich aus der Zeit, als das Sechste Direktorat die neuen Kooperativen kontrollierte.«
»Anfang der Achtziger«, erklärte Kastner, »war Ugor-Shilow ein kleiner Fisch – er hatte einen Gebrauchtwagenhandel in Eriwan, der Hauptstadt von Armenien. Er hatte eine KGB-Akte – in den Siebzigern war er wegen Bestechung und kleinen Schwarzmarktgeschäften verhaftet worden und für acht Jahre in ein Gulag auf der Halbinsel Kamtschatka gesteckt worden. Wenn Sie eine Vorstellung davon haben wollen, was Ugor-Shilow in den acht Jahren durchgemacht hat, empfehle ich Ihnen die Lektüre von Solschenizyns Ein Tag im Leben des Iwan Denissowitsch. Als er wieder in Armenien war und sich das Geld für seinen Gebrauchtwagenhandel zusammengekratzt hatte, war er zu einem erbitterten Gegner der Sowjetunion und auch Russlands geworden. Er wäre von unserem Radarschirm verschwunden, wenn er nicht größere Fische ins Visier genommen hätte. Er kam nach Moskau und riss innerhalb von ein paar Monaten den dortigen Gebrauchtwagenmarkt an sich. Nach und nach kaufte er seine Konkurrenz auf. Wer nicht verkaufen wollte, war ein toter Mann oder wurde verstümmelt. Die Strafe, die der Oligarch verhängte, würdet ihr Amerikaner als grausam und ungewöhnlich bezeichnen – seiner Meinung nach war es gut fürs Geschäft, wenn seine Feinde Grund hatten, ihn zu fürchten. Als ich mit Samat in Genf telefonierte, erzählte er mir, dass Ugor-Shilow irgendwen lebendig begraben und darüber eine Straße hat teeren lassen – und das vor den Augen etlicher Straßenarbeiter. Ob die Geschichte von der Exekution stimmt oder nicht – sie erfüllte jedenfalls ihren Zweck. Nur noch wenige Russen wagten es, sich mit dem Oligarchen anzulegen.«
»Sie scheinen eine ganze Menge über Tsvetan Ugor-Shilow zu wissen«, sagte Martin.
»Ich war als Führungsoffizier Ermittlungsleiter im Fall des Oligarchen.«
Martin sah, worauf die Geschichte hinauslief. »Lassen Sie mich raten – er hat das Sechste Direktorat geschmiert.«
Kastner antwortete eine Weile nicht. »Sie müssen sich in unsere Lage versetzen«, sagte er schließlich. »Wir waren ehrliche Polizisten, und wir haben anständig gegen ihn ermittelt. Aber er hat den Minister im Kreml gekauft, der den KGB leitete, dann meinen Kollegen, der das Sechste Direktorat leitete, und dann kam er zu mir und legte mir einen
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