Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
Vom Netzwerk:
verblasste Tätowierung, einen Nachtfalter. Dr. al-Karim wandte sich der Gefangenen zu, packte das weit sitzende Hemd an den Knöpfen und riss es auf. Er starrte auf die Tätowierung unter ihrer Brust, warf dann das Hemd wieder zu und stopfte es lose unter die weißen Streifen Kreppband.
    »Wie viel haben Sie ihr bezahlt?«, fragte der Imam.
    Dante überlegte eine Sekunde. »Fünfzig Dollar.«
    »In was für Scheinen?«
    »Zwei Zwanziger und ein Zehner.«
    »Haben Sie ihr das Geld in die Hand gedrückt?«
    Dante schüttelte den Kopf. »Ich hab es auf den Schreibtisch gelegt und mit einer Granathülse beschwert.«
    »Was hatte sie an, als Sie mit ihr Sex hatten?«
    »Ihre Schuhe.«
    »Und Sie?«
    »Ein Kondom.«
    Der Imam kehrte zu seinem Stuhl hinter dem Schreibtisch zurück.
    »Sie stehen unter Hausarrest«, teilte er Dante mit. »Sie sind zweifellos ein Sprengstoffexperte. Aber ich befürchte, dass Sie für jemanden anderen arbeiten als die Hisbollah. Wir werden Ihren Lebenslauf noch einmal haargenau unter die Lupe nehmen. Wir schicken jemanden nach Castletownbere auf der Halbinsel Beara, wir fangen bei Mary McCullagh und dem Restaurant The Bank an und arbeiten uns von da an weiter vor. Wenn Sie uns auch nur in einem einzigen Punkt belogen haben …« Er ließ den Satz unvollendet.
    Als Dante aufstand, entwich der Gefangenen ein tiefes Stöhnen. Alle Augen im Raum richteten sich auf sie. Djamillha hyperventilierte mit weit offenem Mund. Sie neigte den Kopf zur Seite und richtete keuchend ihr unverletztes Auge auf Dante. Mit großer Mühe stieß sie hervor: »Du bist … im Bett eine Niete, Ire.« Und dann lächelte sie ein verzerrtes Lächeln und musste würgen, als ihr höhnisches Lachen aus der Kehle hochstieg.
    Nachdem Dante in sein niedriges Zimmer eskortiert worden war und bewaffnete Wachen vor der Tür Posten bezogen hatten, warf er sich auf sein Bett, starrte die weiß gekalkte Decke an und fragte sich, ob die vielen zerquetschten Fliegen dort oben eine Art Frontbericht übermittelten. Und er hörte Djamillhas Stimme im Kopf. Er konnte die Worte verstehen, die sie gequält zwischen zerschlagenen Lippen hervorquetschte. Du bist im Bett eine Niete, Ire.
     
    Bei Sonnenuntergang tauchte Abdullah in seiner Unterkunft auf. Er wirkte wie verwandelt. Es stand ihm ins Gesicht geschrieben, dass er Dante nicht mehr als seinen Waffenbruder betrachtete. »Sie sollen mitkommen«, sagte er, drehte sich ohne abzuwarten um und verließ den Raum. Zwei bewaffnete Männer, die Kefije so um den Kopf gewickelt, dass nur die Augen zu sehen waren, gingen dicht hinter Dante, der Abdullah durch das Dorf zum Zaun des Lagers folgte. Das Tor stand offen, und Abdullah winkte Dante, bis an den Rand des Steinbruchs zu treten, wo die neunzehn Bombenlegerschüler zusammen mit dem übrigen Personal und den Hisbollah-Kämpfern, die die Gefangene aus Beirut hergebracht hatten, aufgereiht standen. Unten im Steinbruch, mit dem Rücken zur untergehenden Sonne, wurde Djamillha gerade von zwei Männern an einen Pfahl gefesselt. Einer von ihnen hängte ihr eine khakifarbene Armeetasche um den Hals, griff dann hinein, um die Drähte miteinander zu verbinden und den Stromkreis zu schließen. Djamillha knickten die Knie ein, und sie sackte in die Stricke, die sie an dem Pfahl hielten. Als die Männer sich zurückzogen und die Tasche ihr noch vor der Brust baumelte, tauchte Dr. al-Karim neben Dante auf. Er hatte einen kleinen Fernzünder in der Hand, den er Dante hinhielt. »Möchten Sie die Ehre haben?«
    Dante blickte auf den Zünder. »Sie ist nicht meine Feindin«, sagte er.
    Hoch über dem Bekaa-Tal tauchten von Norden her zwei israelische Düsenjäger auf, deren Kondensstreifen im letzten Sonnenlicht leuchteten. Als sie direkt über dem Lager waren, drehten sie im rechten Winkel nach Westen Richtung Meer ab, und der Düsenlärm rollte über das Lager.
    Der Imam blickte lange auf die Frau, die an den Pfahl gefesselt war, dann hob er unvermittelt den Zünder, drehte den Knopf, bis ein hohles Klicken ertönte, und drückte ihn. Für einen Augenblick, der sich ewig hinzog, geschah nichts. Dr. al-Karim runzelte die Stirn und hob schon den Zünder, um ihn erneut zu aktivieren, als eine dumpfe Explosion im Steinbruch eine senffarbene Rauchwolke aufwirbeln ließ. Als sie sich auflöste, war die Frau verschwunden, und von dem Pfahl war nur noch ein Stumpf übrig. Die Fedajin am Rande des Steinbruchs drehten sich um und marschierten in die Dunkelheit

Weitere Kostenlose Bücher