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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Raum mit weißem Kreppband an einen Küchenstuhl gefesselt war. Gedämpftes Stöhnen drang unter der schwarzen Kapuze hervor. Dante bemerkte die dünnen Handgelenke und Fußknöchel, und er kam zu dem Schluss, dass die Hisbollah einen Jugendlichen festgenommen hatte. Der Imam bedeutete Dante, auf dem anderen Stuhl Platz zu nehmen. Vier der bewaffneten Männer postierten sich hinter ihm an der Wand.
    »Wo waren wir bei unserem letzten Gespräch stehen geblieben?«, fragte Dr. al-Karim förmlich.
    »Wir sprachen über die Griechen und Aristoteles. Sie sagten, Sie werfen ihnen vor, dass sie die Vernunft als Weg zur Wahrheit über den Glauben stellen.«
    »Richtig. Wir wissen, was wir wissen, weil wir an Allah und Seinen Propheten glauben, die uns den rechten Weg weisen, den einzigen Weg. Wenn ein ehemaliger Katholik wie Sie das nicht akzeptiert, ist das ein Vergehen. Normalerweise sollte ein Gläubiger wie ich versuchen, Sie zu bekehren oder, wenn das nicht gelingt, des Landes verweisen.« Er blickte auf die gefesselte Gestalt. »Wenn aber Muslime sich vom Glauben abwenden, ist das eine Todsünde, die mit Hinrichtung bestraft wird.«
    Der Imam zischte einen Befehl auf Arabisch. Einer der Bewaffneten trat vor und zerrte die Kapuze herunter. Dante stockte der Atem. Diamillhas langes, dunkles Haar war stellenweise blutverklebt, ein Auge zugeschwollen, die Lippen aufgerissen, etliche Schneidezähne fehlten. An einem Ohr baumelte ein großer Silberreif, der andere Ohrring war abgerissen worden, sodass das Ohrläppchen an der Stelle aufklaffte.
    »Sie leugnen nicht, sie zu kennen?«, sagte Dr. al-Karim.
    Dante hatte Mühe zu sprechen. »Kennen wäre zu viel gesagt«, erwiderte er schließlich, mit kaum hörbarer Stimme. »Sie heißt Djamillha. Sie ist die Prostituierte, die in der Kneipe anschaffen geht, in der ich in Beirut war. Sie hat mich mit nach oben auf ihre Intensivstation genommen, wie wir Iren sagen.«
    »Djamillha ist ein Deckname. Sie behauptet, sie kann sich nicht an ihren richtigen Namen erinnern, aber sie lügt offensichtlich. Sie will ihre Familie vor Vergeltungsmaßnahmen schützen. Sie hat sich als Prostituierte ausgegeben, um für die Juden zu spionieren. In dem Zimmer, das sie benutzt hat, waren Luftaufnahmen von mehreren Ausbildungslagern versteckt, auch von unserem. Auf ein paar Fotos waren handschriftliche Vermerke, Beschreibungen des Lagers. Wir vermuten, Sie haben ihr die Informationen gegeben, als Sie in der Kneipe in Beirut waren.«
    Ein krächzendes Flüstern drang zwischen Djamillhas eingerissenen Lippen hervor. Sie sprach langsam, mühte sich ab, gewisse Konsonanten mit geöffnetem Mund auszusprechen. »Ich hab denen … die mich verhört haben … gesagt … der Ire war ein Kunde.«
    »Von wem sind denn dann die Erläuterungen auf den Fotos?«, fragte der Imam.
    »Die … waren schon drauf … als ich die Fotos erhalten habe.«
    Dr. al-Karim nickte einmal. Der Bewaffnete hinter Djamillha steckte zwei Finger durch den noch verbliebenen Ohrring und zog ihn mit einem Ruck nach unten. Er riss das Ohrläppchen mit einem Schwall von Blut auf. Djamillha öffnete den Mund, um zu schreien, verlor aber das Bewusstsein, bevor der Laut ihre Kehle verlassen konnte.
    Ein Krug Wasser wurde ihr ins Gesicht geschüttet. Ihre Augen flatterten auf, und der unterdrückte Schrei, der ihr im Rachen feststeckte wie eine Fischgräte, brach mit unbändiger Kraft hervor. Dante zuckte zusammen und wandte sich ab. Dr. al-Karim kam um den Schreibtisch herum und baute sich vor Dante auf. »Wer sind Sie?«, fragte er mit leisem Knurren.
    »Pippen, Dante. Freiberuflicher, freidenkerischer, freigeistiger Sprengstoffexperte irischer Abstammung, stets zu ihren Diensten, solange Sie brav mein Off-Shore-Konto füllen.«
    Der Imam umkreiste die Gefangene und sah sie an, während er mit Dante sprach. »Ich würde gern glauben, dass Sie der sind, der Sie behaupten zu sein, in Ihrem Interesse, aber auch in meinem.«
    »Kommen Sie – die muss doch Dutzende, Hunderte von Männern in dem Zimmer über der Kneipe empfangen haben. Jeder davon hätte ihr Kontaktmann sein können.«
    »Waren Sie intim mit ihr?«
    »Ja.«
    »Hat sie irgendwelche besonderen Kennzeichen am Körper?«
    Dante beschrieb die kleine Narbe an der Innenseite ihres Oberschenkels, das rasierte Schamhaar, die Narbe von der Impfung am linken Arm, oder war es der rechte – er wusste es nicht mehr genau. Ach ja, noch was, unter der rechten Brust hatte sie eine

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