Die kalte Legende
Taste fünf und die Taste sieben an Ihrem Apparat?«
»Fünf, dann sieben?«
»Ganz genau, Mrs. Rainfield.«
»Hören Sie das?«
»Laut und deutlich. Und bitte noch einmal sicherheitshalber, ja?«
»So?«
»Wunderbar. Sie haben mir einen Riesengefallen getan.«
»Darf ich fragen, was los ist?«
»Fragen Sie mich nicht wie, aber anscheinend stört Ihre Leitung die Telefone ihrer Nachbarn. Einer hat sich beschwert, er würde beim Telefonieren fremde Gespräche mithören. Hat es bei Ihnen in der Leitung schon mal gerauscht, Mrs. Rainfield?«
»Jetzt, wo Sie mich fragen: Heute Morgen war die Verbindung etwas undeutlich.«
»Nun müssten Sie mich wieder klar und deutlich hören.«
»Ja, stimmt, vielen Dank.«
»Meistens klettern wir auf Telefonmasten, um dann festzustellen, dass alles in bester Ordnung ist. Ab und zu tut es auch mal gut, was reparieren zu können. Mit Ihrer Hilfe war das ein Kinderspiel. Jetzt bräuchte ich für meinen Arbeitszettel noch Ihren vollen Namen und Ihre Adresse.«
»Ich heiße Doris Rainfield«, sagte die Frau und nannte ihm eine Adresse auf der North End Road, eine Verlängerung der Golders Green Avenue, hinter dem Bahnhof.
»Tausend Dank.«
»Keine Ursache.«
Martin drückte den Klingelknopf neben einer gewaltigen Stahltür, an der ein Messingschild mit der Aufschrift »Soft Shoulder« prangte, und blickte nach oben in eine Überwachungskamera. In der Gegensprechanlage rauschte es, und eine nasale Frauenstimme ertönte.
»Wenn Sie was anliefern, müssen Sie zum Lieferanteneingang hinter dem Haus.«
»Mein Name ist Martin Odum«, rief Martin. »Ich möchte mit dem Geschäftsleiter von Soft Shoulder sprechen.«
»Sind Sie der Mann, der die Prothesen nach Bosnien liefert?«
»Leider nein. Ich komme von einem Freund des Geschäftsleiters, Mr. Samat Ugor-Shilow.«
»Einen Moment, bitte.«
Das Rauschen wich einer unheimlichen Stille. Gleich darauf meldete sich die Frau, die Martin für Mrs. Rainfield hielt, erneut über die Sprechanlage. »Mr. Rabbani möchte wissen, woher Sie Mr. Ugor-Shilow kennen.«
»Sagen Sie ihm«, erwiderte Martin und wiederholte die Worte, die Kastner bei ihrem Gespräch auf der President Street benutzt hatte, »wir sind vom gleichen Schlag.«
»Wie bitte?«
»Ähm, sagen Sie Mr. Rabbani, ich kenne Samat aus Israel.«
Wieder trat Stille ein. Dann erreichte ein dezenter Stromimpuls das Schloss in der Tür, und sie sprang mit einem Klicken auf. Martin öffnete sie und betrat das Lager. Er hörte die Tür hinter sich wieder ins Schloss fallen, während er einen Gang entlangschritt, der mit Kalenderblättern aus den achtziger Jahren gesäumt war, auf jedem ein Foto von einem halb nackten Filmstarlet. In dem gläsernen Kabuff am Ende des Ganges saß eine junge Frau mit spitzem Busen und kurzem, strohblondem Haar hinter einem Schreibtisch und lackierte sich die Fingernägel leuchtend rot. Martin steckte den Kopf durch die offene Tür. »Sie müssen Doris Rainfield sein«, riet er.
Die Frau blickte neugierig auf. »Samat hat Ihnen von mir erzählt, nicht wahr?« Sie wedelte mit den Fingern der rechten Hand in der Luft, um den Nagellack zu trocknen. »Ich mag Samat, echt. Mann, er macht manchmal gern einen auf vornehm. Einmal kam er hier reingeschwebt, den Mantel über die Schultern geworfen wie ein Cape. Er sah aus wie der Scheich in einem dieser Stummfilme mit Rudy Valentino, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Und ob, Mrs. Rainfield.«
Die Frau senkte vertraulich die Stimme. »Ehrlich gesagt, ich bin nicht Mrs. Rainfield. Das heißt, nicht mehr. Seit sechs Wochen und drei Tagen bin ich mit Nigel Frost verheiratet, deshalb bin ich jetzt Mrs. Frost. Sagt Ihnen der Name Nigel Frost was? Mein Nigel ist ein Weltklasse-Snookerspieler. Hat letztes Jahr das Viertelfinale der britischen Meisterschaften erreicht. Ich benutze im Büro aber weiter den Namen meines ersten Mannes. Mr. Rabbani will das so. Schließlich steht der Name Rainfield hier in den ganzen Unterlagen, und er sagt, es wäre ziemlich umständlich, das zu ändern.«
Martin lehnte sich gegen den Türrahmen. »Verhält sich Mrs. Rainfield denn anders als Mrs. Frost?«
»Oh ja. Mein Mr. Frost mag es, wenn ich kurze Röcke und enge Pullover trage. Mr. Rainfield hätte mich in so einer Aufmachung nicht aus dem Haus gelassen. Das ist genauso wie bei Samats Cape, nicht wahr? Du kleidest dich so, wie du sein willst.« Sie klimperte mit unnatürlich langen Wimpern und deutete mit
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