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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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den Augen durch die Tür auf das düstere Ende des Ganges. »Da lang, dann einmal quer durchs Lager, und Sie landen automatisch bei Mr. Rabbani. Sein Mädchen für alles, ein Ägypter namens Rachid – glauben Sie mir, den werden Sie nicht übersehen –, bewacht die Tür.«
    »Ist Rachid sein richtiger Name, oder wollte Mr. Rabbani auch in seinem Fall die Unterlagen nicht ändern?«
    Mrs. Rainfield kicherte belustigt.
    Martin bedankte sich und ging dann die Gänge entlang, die von hohen Kartonstapeln gebildet wurden. Auf allen Kartons standen die Worte »Prothese« und »Arm« oder »Bein« sowie eine Maßangabe in Zentimetern. Etwas kleiner gedruckt war der Vermerk, dass die Artikel in den USA hergestellt worden waren. Über Martins Kopf schien die Sonne diffus durch Oberlichter, die mit Ruß und Vogeldreck besprenkelt waren. Ein schwergewichtiger, unrasierter Mann mit strähnigem Haar, der eindeutig der Bodyguard sein musste, ragte hinter den letzten Kartons auf. Auf einem Namensschildchen, das an dem breiten Revers seines Zweireihers steckte, stand der Name Rachid.
    »Irgendwelche Waffen?«, fragte er, während er Martin mit Augen taxierte, die keinen Zweifel daran ließen, dass ihm das Schicksal des Besuchers gleichgültig war, sollte der sich, so unwahrscheinlich das auch war, einer Durchsuchung widersetzen.
    Martin spielte eine Rolle, die er nicht gewohnt war: die des Arglosen. »Wie bitte?«
    »Tragen Sie irgendwelche Waffen?«, fauchte Rachid. »Irgendwas, das die Polizei für eine Pistole halten könnte?«
    Schmunzelnd spreizte Martin die Beine und hob die Arme. Der Bodyguard tastete ihn äußerst professionell ab und fasste ihm mit der Hand so hoch in den Schritt, dass Martin fröstelte.
    »Kitzelig, was?«, sagte der Bodyguard mit einem hämischen Grinsen. Dann deutete er mit dem Kinn auf eine Tür, an der auf einem Plastikschild in säuberlichen Druckbuchstaben »Taletbek Rabbani – Export« stand. Martin klopfte. Nach einem Augenblick klopfte er erneut und hörte prompt die kratzige, schwache Stimme eines alten Mannes: »Worauf warten Sie, mein Sohn, auf eine schriftliche Einladung?«
    Taletbek Rabbani saß mit krummem Rücken auf einem Hocker über ein Schreibpult gebeugt, von seinen papiertrockenen Lippen baumelte eine dicke Zigarette, und über seinem kahlen Kopf schwebte eine Rauchwolke. Er war ein alter Mann, bestimmt weit über achtzig, und nicht viel dicker als der Stift, den er in seinen arthritischen Fingern hielt. Unter seiner Unterlippe befand sich ein Büschel strohiges, weißes Haar, an dem die Asche seiner Zigarette hängen blieb. Ein warmer Luftschwall umhüllte Martin, als er in den Raum trat. Der alte Mann heizte sein Büro fast auf Saunatemperatur. Martin hörte das Wasser in den Heizkörpern gluckern, als er sich auf ein kleines Sofa setzte, wo an einem der spindeldürren Holzbeine noch das Etikett »Made in Sri Lanka« befestigt war.
    »Taletbek Rabbani klingt wie ein tadschikischer Name«, sagte er. »Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, Sie sind ein Tadschike von den Steppen des Pandschir-Tals nördlich von Kabul. Ich meine, mich an ein Stammesoberhaupt namens Rabbani zu erinnern. Der Mann herrschte über eine Reihe von Bergdörfern an der Grenze zu Usbekistan.«
    Rabbani wedelte mit seinen knochigen Fingern, um den Zigarettenqualm zu vertreiben und seinen Besucher besser sehen zu können. »Sie waren in Afghanistan?«, fragte er.
    »In einer früheren Inkarnation hab ich mal über ein halbes Jahr lang am Khaiberpass rumgelungert.«
    Rabbani versuchte noch immer, sich ein genaueres Bild von Martin zu machen. »Und was haben Sie da gemacht, gekauft oder verkauft?«
    »Gekauft. Geschichten. Ich habe als Reporter einer Nachrichtenagentur Informationen von Kämpfern eingeholt, die über die afghanische Grenze kamen und gingen.«
    Ein flüchtiges Lächeln blitzte in Rabbanis alten Augen auf.
    »Nachrichtenagentur, von wegen. Die einzigen Leute am Khaiberpass waren amerikanische Geheimdienstagenten. Sie standen also auf derselben Seite wie mein älterer Bruder, das Stammesoberhaupt Rabbani.«
    Martin hatte sich schon so etwas gedacht, sobald er Rabbanis Namen hatte einordnen können. Er hoffte, dadurch bei dem alten Knaben Punkte sammeln zu können, der, wie er jetzt bemerkte, die linke Hand unter dem Pult versteckt hielt. Seine Finger waren bestimmt um den Griff einer Pistole gelegt.
    »Was ist aus Ihrem Bruder geworden, nachdem die Russen vertrieben worden waren?«
    »Er wurde

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