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Die kalte Legende

Die kalte Legende

Titel: Die kalte Legende Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Littell
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Wissen Sie, weshalb es zu den Moskauer Bandenkriegen gekommen ist?«
    »Die slawische Allianz hat sich mit tschetschenischen Banden angelegt. Es ging um Revieransprüche. Wer was kontrolliert.«
    »Auf dem Höhepunkt des Krieges hatten die Tschetschenen mit rund fünfhundert Kämpfern im Hotel Rossija ihr Hauptquartier eingerichtet. Der Anführer der Tschetschenen war nur unter seinem nom de guerre – ›der Osmane‹ – bekannt. Der Oligarch ließ ihn zusammen mit seiner Freundin kidnappen. Samat wurde losgeschickt, um mit den Tschetschenen zu verhandeln – wenn sie ihren Anführer lebend zurückhaben wollten, müssten sie Moskau verlassen und sich mit ein paar von den unbedeutenderen Großstädten begnügen, die der Oligarch ihnen zubilligen würde. Die Tschetschenen sagten, sie müssten die Sache erst mit den anderen erörtern. Samat war sicher, dass sie Zeit schinden wollten und dass es, selbst wenn sie zustimmten, keine Garantie dafür gab, dass sie Moskau aufgeben würden. Er überzeugte den Oligarchen, dass den Tschetschenen eine Lektion erteilt werden müsse. Am nächsten Morgen machten Leute auf dem Weg zur Arbeit eine grausige Entdeckung: An einer Laterne nicht weit von der Kreml-Mauer baumelten der Osmane und seine Freundin mit dem Kopf nach unten. Die Zeitungen verglichen den Mord mit dem Tod von Mussolini und seiner Geliebten in den letzten Tagen des Großen Vaterländischen Krieges.«
    »Und Sie nennen Samat einen Wohltäter?«
    »Wir alle haben mehrere Seiten, mein Sohn. Das war eine Seite von Samat. Eine andere ist der Verkauf von Prothesen an Landminenopfer zum Selbstkostenpreis. Ich war auch ein anderer Mensch, nachdem ich auf die Mine getreten war. Und Sie, Mr. Odum? Sind Sie eindimensional, oder haben Sie auch mehrere Persönlichkeiten wie wir Übrigen?«
    Martin hob eine Hand an die Stirn, um die Migräne im Zaum zu halten, die wie die im Bahnhof ein- und ausfahrenden Züge dröhnte. An seinem Pult nahm der alte Mann bedächtig eine Zigarette aus einer Schublade und zündete sie mit einem Streichholz an. Wieder bildete sich eine Rauchwolke über seinem Kopf. »Wer bezahlt Sie dafür, Samat zu finden, Mr. Odum?«
    Martin erzählte von Samats verlassener Frau in Israel, die ihren Mann finden musste, um sich von einem Rabbinatsgericht scheiden lassen zu können. Rabbani, der an seiner Zigarette paffte, dachte darüber nach. »Das sieht Samat gar nicht ähnlich, seine Frau einfach so sitzen zu lassen. Wenn er geflohen ist, dann bedeutet das, dass die Tschetschenen ihn in der jüdischen Kolonie bei Hebron aufgespürt haben. Tschetschenen haben lange Messer und ein langes Gedächtnis – ein paar von denen sollen Fotos dabei haben, die sie aus der Zeitung ausgeschnitten haben, von dem Osmanen und seiner Freundin, wie sie mit dem Kopf nach unten an der Laterne in Moskau hängen. Die Tschetschenen müssen ihm dicht auf den Fersen gewesen sein, sonst hätte er nicht Hals über Kopf Reißaus genommen.«
    Rabbani zog eine weitere Schublade auf, holte ein Metallkästchen hervor und öffnete es mit einem Schlüssel, der an der Kette seiner goldenen Taschenuhr befestigt war. Er nahm ein Bündel englischer Banknoten heraus und warf sie auf das Schreibpult. »Ich möchte Samat finden, bevor die Tschetschenen ihn schnappen. Ich möchte ihm helfen. Er braucht kein Geld – er hat mehr Geld, als er jemals ausgeben könnte. Aber er braucht Freunde. Ich könnte ihm helfen, mit einer neuen Identität unterzutauchen, sogar ein neues Leben zu führen. Arbeiten Sie für mich, Mr. Odum? Finden Sie Samat und sagen ihm, sein Freund Taletbek Rabbani ist bereit, ihm beizustehen?«
    »Falls Samat von den Tschetschenen gejagt wird, sind Sie dann nicht auch in Gefahr, wenn Sie ihm helfen?«
    Rabbani griff einen der Gehstöcke und schlug damit gegen seine Prothese. »Ich verdanke Samat mein Bein. Und mein Bein ist mein Leben geworden. Ein Tadschike vergisst niemals eine solche Dankesschuld, mein Sohn.«
    Martin stand vom Sofa auf und ging zu dem Schreibpult, nahm das Geldbündel und fächerte es auf wie Spielkarten. Dann steckte er das Geld ein. »Ich hoffe, Sie sagen mir, wo ich mit der Suche anfangen soll.«
    Der alte Mann nahm den Stift und kritzelte etwas auf die Rückseite eines Briefumschlags, den er Martin reichte. »Samat war hier, nachdem er Israel verlassen hatte. Er wollte wissen, wie die Projekte laufen, die ihm besonders am Herzen liegen. Er ist zwei Tage geblieben, dann ist er nach Prag geflogen. In Prag hat

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