Die kalte Nacht des Hasses
kein guter Tag gewesen, wenn man die abgesäbelten Lippen bedachte, die ich früher am Tag im Abfluss gefunden hatte, und die mir nicht aus dem Sinn gingen, so viel Mühe ich mir auch gab, und dennoch lächelte ich freundlich. Der Junge konnte ja nichts für mein Leben. »Ist Doktor Black schon aus Kalifornien zurück?«
»Nein, Ma’am, aber sie erwarten ihn jederzeit draußen auf dem Hubschrauberlandeplatz. Alle sind ganz aufgeregt wegen des Schönheitswettbewerbs.«
»Ja, wie schrecklich für Sie, sich um all diese wundervollen Models kümmern zu müssen, deren Wagen geparkt werden müssen.«
»Klar. Bricht mir das Herz. Ich hatte schon die ganze Woche Angst davor.« Er grinste. Ja, aus der Nähe war er wirklich ein ganz Süßer. Er war sechzehn oder siebzehn, aus der Nähe konnte ich die Locken in seinem Haar sehen, und dass seine Augen eher die Farbe von verbranntem Zimttoast hatten, meiner Spezialität. Er redete immer noch. »Ich schwänze heute die Schule, um diese ganzen Schönheiten mal aus der Nähe sehen zu können. Manche von ihnen sind sogar richtige Models. Bis heute habe ich noch nie im Leben ein Model getroffen. Und sie geben gute Trinkgelder.«
Ich lächelte und wünschte mir, sie wären auch wirklich alle noch am Leben, während ich ihn in meinem dreckverkrusteten Explorer davonfahren sah. Dann marschierte ich auf der Suche nach dem Austragungsort des Wettbewerbs durch die Lobby. Es stellte sich heraus, dass die großartigen Festivitäten im Ozark-Ballsaal stattfinden würden, dem größten und glitzerndsten der drei, die allesamt natürlich wunderbar ausgestattet waren. Der Ozark hatte einfach nur am meisten Glitzer und Glamour, das war alles.
Ich trottete lange Flure entlang, die mit einem eleganten Teppichboden in Schwarz und Braun ausgelegt waren, bis ich schließlich ein halbes Dutzend identischer, mit schwarzem Samt umrahmte Doppeltüren erreichte, durch die Mitarbeiter sausten wie Ameisen um einen Honigflecken. Am einen Ende des riesigen Saals hämmerten einige Tischler wie verrückt an einer Bühne und einem daran anschließenden fünfzehn Meter langen Steg herum, all das unter der schrillen Aufsicht einer jungen Frau, die groß und dünn genug war, um als Twiggys Nachfolgerin durchzugehen. Aufgrund ihrer schrillen Anweisungen ging ich davon aus, dass sie die Wettbewerbs-Koordinatorin sein musste, und marschierte direkt in ihre Richtung.
»Entschuldigen Sie, Ma’am. Sind Sie Patricia Cardamon?«
Die Dame wandte sich um und betrachtete mich mit dem offensichtlichen Wunsch, mich so zügig wie möglich loszuwerden, sie verfügte über die arrogante Überlegenheit, die nur ein gerade ausgestiegenes Ex-Laufstegmodel an den Tag legen konnte. »Ja, das bin ich. Kann ich Ihnen helfen?«
Sie hätte genauso gut noch ans Ende ihrer Frage setzen können: Du wertloses kleines Dreckstück. Ich hatte Zeit genug, also musterte ich sie ebenfalls von oben bis unten. Sie schien Mitte dreißig zu sein, schlank auf eine ungesunde, magersüchtige Art, aber mit schöner Haut, schönem Haar, schönen Nägeln, eigentlich nur schönen Sachen. Also, okay, schön auszusehen war eben das Thema des Tages. Manchmal hatte ich den Verdacht, dass es kein Zufall sein konnte, dass alle Angestellten von Black aussahen, als wären sie direkt aus GQ und Glamour, geschmeidig und glänzend. Vielleicht stand auf den Bewerbungsbögen für Blacks Cedar Bend Resort: Bitte kreuzen Sie an, was Ihr Aussehen am besten beschreibt: atemberaubend schön, wundervoll, hübsch, okay, ordentlich, hässlich, schrecklich. Die letzten sechs müssen sich gar nicht erst bewerben. Oder vielleicht blieben die hässlichen Leute auch einfach im Keller.
»Ja, Ma’am. Ich bin Claire Morgan, Detective beim Canton County Sheriff’s Department. Wir haben vor etwa zwanzig Minuten kurz telefoniert.«
»Oh, ja, ich glaube, ich erinnere mich.«
Na toll. Patricia glaubte, sich zu erinnern. Eines von den klugen Models. Und sie schien sich noch nicht einmal darüber zu freuen. Ich sagte: »Wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, benötige ich eine Liste aller Teilnehmer, ebenso wie eine Liste all derjenigen, die in irgendeiner Verbindung mit diesem Schönheitswettbewerb stehen.«
»Also, ich muss schon sagen, Detective, das kommt jetzt wirklich äußerst ungelegen. Ihnen ist klar, dass der Wettbewerb übermorgen stattfindet, und morgen ist die komplette Generalprobe. Wirklich, Sie verlangen sehr viel.«
Okay, die Frau wusste nichts von Hildes
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