Die kalte Nacht des Hasses
»Ich habe einen KitKat-Riegel, den ich mit dir teilen kann.«
»Okay.«
Sie aßen den Schokoriegel und lauschten dem Applaus über ihnen auf den Bänken. Als Sissys Musik für ihren »Little Bo Peep«-Tanz begann, hielt sich die Ältere die Ohren zu, um sie nicht hören zu müssen. Sie hatte sie eine Million Mal zu Hause gehört, immer und immer wieder, bis sie am liebsten geschrien hätte.
Als Sissys Auftritt vorüber war, fragte der Junge. »Willst du was von dem Zeug gegen die Sommersprossen?«
»Klar. Wo kriegt man das?«
»Also, eigentlich musst du es dir bei meiner Mutter in der Praxis holen, weißt du, mit einem Rezept, aber Mum hat auch alles mögliche Zeug zu Hause. Sie würde es nie merken, wenn ich was für dich abzweige. Warum kommst du nicht nächsten Samstag und wir probieren es mal an deinem Gesicht aus, mal sehen, was passiert?«
»Ich weiß nicht, ob ich kann. Wo wohnst du?«
»Bloß ein paar Blocks von deinem Haus entfernt, durch das große Dickicht hinter eurer Scheune. Weißt du, wo der Bus mich und meine Schwestern direkt vor eurer Einfahrt einsammelt? Mum nimmt sie am Samstagnachmittag um zwei beide mit in die Stadt, Klavierunterricht. Und Dad ist am Wochenende auf einer Ärztekonferenz in einer anderen Stadt. Er ist Schönheitschirurg.«
»Deine Eltern sind beide Ärzte?«
»Ja, aber verschiedene. Also, was meinst du? Komm vorbei und wir probieren die Creme mal bei dir. Und bring ja nicht deine blöde kleine Schwester mit, sonst kannst du es vergessen. Die kann ich nicht ausstehen.«
Die Ältere lachte darüber und dachte, dass endlich, endlich einmal jemand nicht Sissy am liebsten mochte. »Okay, mache ich, aber du musst mir versprechen, es nicht zu verraten. Mama wird es gar nicht gefallen, wenn ich dich besuche. Sie hasst deine Mutter. Sie sagt, sie sei eine hochnäsige Kuh.«
»Ja, das ist sie auch manchmal, aber die Mütter hier hassen einander alle.«
Sie lachten beide und dann sagte sie: »Versprichst du mir, dass du niemandem erzählst, dass ich komme?«
»Wem soll ich es denn erzählen? Aber wir können uns auch woanders treffen, wenn du sonst Ärger kriegst.«
»Nein, nein, ich wüsste nicht wo. Ich komme zu dir, aber ich schleiche mich die kleine Straße hinter eurem Haus runter, damit mich keiner sieht. Mama mag es gar nicht, wenn ich unser Grundstück verlasse.«
»Mach einfach das Tor auf und komm rein. Es ist das große, rot angemalt, und wir haben schicke schwarze Scharniere, die aussehen wie Löwen. Ich warte auf der hinteren Veranda auf dich.«
5
Ein Blick auf meine gute alte Timex verriet mir, dass ich gerade noch genug Zeit hatte, um zur Cedar Bend Lodge zu fahren und mir diese ganze Wettbewerbsgeschichte einmal anzusehen, bevor Blacks Hubschrauber aufsetzte. Der Verkehr war schrecklich und meine schlechte Laune wandelte sich schrittweise von entsetzlich zu übel zu kotzwütend, bis ich durch das große Steintor fuhr, das vor dem Resort meines Schätzchens stand, um die reichen Neurotiker zu beeindrucken. Es war natürlich wundervoll, alles, was Nick gehörte, war ganz großartig und hatte mehr Sterne als Colin Powells Schulterklappen. Ich fuhr zwischen den glatten, unfassbar grünen Golflöchern hindurch und bewunderte die Blumen, die Blumen und noch mehr Blumen. Egal was man wollte – Körbchen, riesige Dekovasen, manikürte Rabatten, gegen Blacks Reich wirkte das Epcot Center wie die Mojave-Wüste. Aber es roch klasse, wenn alles blühte. Das schon.
Kaum hielt ich unter einem auf Steinsäulen aufliegenden Vordach vor den riesigen Glastüren der gigantischen Lobby, trat ein Mitarbeiter vom Valet-Parking in seiner schwarz-goldenen Uniform an mein Fenster, bereit, jeden meiner Wünsche zu ertragen/wahrwerden zu lassen. Meine intime Beziehung zu dem guten Doktor hatte sich zweifelsohne unter seinen Angestellten herumgesprochen, und so wurde ich hier wie eine Königin behandelt. Ein echter Vorteil, an den ich nicht wirklich gewöhnt war, an den ich mich aber vermutlich schnell gewöhnen könnte. Oder in den ich mich vielleicht sogar verlieben könnte.
Der Parkwächter war ein junger Highschool-Schüler namens Rob, den ich schon ein paar Mal im Resort gesehen hatte. Er war groß gewachsen, hatte dunkles Haar und große, kakaofarbene Augen, er sah nett aus, war höflich, und sein Lächeln erhellte sein Gesicht.
Er sagte: »Guten Tag, Detective Morgan. Darf ich Ihren Wagen parken?«
Das war doch nett von ihm, finden Sie nicht? Aber leider war es bislang
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