Die Kalte Sofie
bordeauxrote Jerseykleid stand, in dem sie zwar binnen Kurzem wie verrückt schwitzen würde, das aber großzügig alle Speckröllchen in anmutige weibliche Rundungen verwandelte. Dafür schnürte sie der Shapewearbody, den sie darunter angezogen hatte, damit sich dieses Wunder auch vollzog, schon jetzt ein. Inständig sehnte sie sich nach einem bequemen Riesenshirt, nackten Beinen und dem Herumlümmeln auf ihrem uralten Sofa – aber dafür war es jetzt zu spät.
Plötzlich hielt sie im Drehen und Wenden inne. Was tat sie hier eigentlich? Donnerte sie sich etwa so auf, um ihren Ex wieder schwach zu machen?
Unsinn, dachte Sofie und setzte sich in Bewegung. Aber sehen, was er da verloren hat, soll der Joe durchaus!
Vroni riss die Wohnungstür auf, als hätte sie auf das Klingeln bereits gelauert. Die Flasche eiskalten Grauburgunder aus Sofies Arm nahm sie nicht minder rasch in Beschlag.
»Hab doch gwusst, dass du vernünftig worn bist, Madl!« Sie klang hochzufrieden. »Herein mit dir!«
Der köstliche Duft nach Gebratenem, der Sofie entgegenströmte, war überwältigend. Genauso hatte es an Feiertagen gerochen, wenn es gute Noten zu feiern gab – oder wenn ihre kleine Seele Trost gebraucht hatte. Die Tante hatte stets eine besondere Nase dafür gehabt, was notwendig war, und ihre bedingungslose Liebe für die verwaiste Nichte eher mit einer Leibspeise als mit vielen Worten ausgedrückt.
Mit reichlich gemischten Gefühlen, in denen sich Erinnerung, Unwillen und Wachsamkeit abwechselten, betrat Sofie die altvertraute Wohnküche. Die Eckbank, der viereckige Tisch, die Bauernmalerei an den Wänden, die von einem lang zurückliegenden Kuraufenthalt Vronis in Murnau stammten – alles unverändert. Woran Sofie allerdings nicht mehr gewohnt war, das war Joes unübersehbare Präsenz.
Bei ihrem Anblick pfiff er anerkennend.
»Wow – die Schöne des Abends«, sagte er halblaut. »Die alte Heimat scheint dir gutzutun, Spatzl.«
»Wenn du hier einen auf Monaco Franze machst, kann ich auch gleich wieder gehen«, erwiderte Sofie. »Hat sich ein für alle Mal ausgespatzelt, kapiert?«
»Ihr zwoa werdets doch ned gleich wieder anfangen zu strei ten«, rief Vroni beunruhigt. »Wo ich mir a solchene Müh gmacht hab!«
Unübersehbar.
Die Tischdecke war die feine mit den Damaststreifen, Vroni hatte das gute Geschirr mit Goldrand aufgedeckt und die böhmischen Kristallgläser aus dem Schrank geholt. In einer Schüssel lockte ihr sagenhafter bayerischer Kartoffelsalat, in einer zweiten, kleineren war Krautsalat.
Joe gab den Kavalier und entkorkte den Grauburgunder.
»An mir soll’s ned liegen«, sagte er, während er fachmännisch den Korken beschnupperte und Sofie einen Probierschluck einschenkte. »Bekanntermaßen gibt’s keinen friedlicheren Zeitgenossen auf diesem Planeten!«
Der Wein war süffig und genau so kalt, wie er sein musste, und doch bekam Sofie plötzlich Lust auf etwas anderes.
»Eigentlich hätt ich am liebsten a Bier«, sagte sie. »Ihr auch?«
Joe grinste. »Also doch. Des von der Giasinger Privatbrauerei, oder? Stell dir vor, als ob ich’s gwusst hätt, hab ich just a paar Flaschn mitbracht!« Er sprang auf, holte zwei Flaschen aus dem Kühlschrank und verteilte den Inhalt gerecht auf drei Gläser.
Vroni werkelte weiter am Herd.
»Dabei wars nix als a reiner Zufall, dass der Bua mir übern Weg gelaufen is«, sagte sie. »Da hab i mir denkt …«
»Wenn ihr glaubts, ich hätt Tomaten auf den Augen und Petersil in den Ohren, dann habts euch sauber täuscht«, fiel Sofie ihr ins Wort. »Was soll des hier werden, wenns fertig is? Die große Sofie-und-Joe-Wiedervereinigung? Könnts grad vergessen!«
Sie nahm einen genüsslichen ersten Schluck.
Das Bier schmeckte nach Hopfen – und nach Heimat. Sie hatte gar nicht gewusst, wie sehr sie beides vermisst hatte.
Joe versuchte, neutrales Terrain anzusteuern.
»Sag amal, Vroni, was macht eigentlich dei Bua? Arbeitet der immer noch in Kempten bei der Rialto-Versicherung?«
Vroni zögerte und wischte sich nervös die Hände an der Schürze ab.
»Der Alois? Der … macht sich richtig guad. Wird wahrscheinlich demnächst zum Abteilungsleiter befördert.«
»Sauber, sag i. Da werdets euch wahrscheinlich eher selten sehen, oder?«
Vroni hüstelte.
»Mir telefoniern halt regelmäßig.«
Was nicht gelogen war. Das letzte Mal hatte sie ihren Sohn gesehen, als seine Waschmaschine kaputtgegangen war und er plötzlich mit gefühlten zwanzig Kilo
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