Die Kalte Sofie
Schmutzwäsche vor ihrer Tür stand. Ein halbes Jahr war das jetzt schon her. Mindestens. Seitdem hatte sie bis auf eine vorgedruckte Weihnachtskarte der Versicherungsgesellschaft nichts mehr von ihm gehört. Was Vroni immer wieder schlaflose Nächte bereitete. Trotzdem hätte sie sich lieber die Zunge abgebissen, als auch nur ein Sterbenswörtchen darüber zu verlieren.
»Aber jetzt sollt ma wirklich endlich amoi essen!«, sagte Vroni, die inzwischen einen hochroten Kopf bekommen hatte. Interessanter Gegensatz zu ihren lila getönten Haaren, die Sofie erst jetzt auffielen. »Sonst werd mei Hendl noch kalt.«
Was mochte in die Tante gefahren sein, dass sie sich auf solch ein modisches Wagnis eingelassen hatte? Etwa doch ein neuer Verehrer, der irgendwo auf seinen Einsatz lauerte?
»Des war die Manu«, sagte Vroni, die schon früher immer wieder Sofies Gedanken lesen konnte. Sie lächelte kokett. »Schee, gell? Der allerletzte Schrei, hats gsagt.«
Mit beiden Händen trug sie die Reine zum Tisch, setzte sie auf ein großes Brett und zückte dann ein Tranchiermesser, um das Hendl zu zerlegen.
»Magst des ned lieber unserer Expertin überlassen?«
Joe grinste. »Wenn eine sich auskennt mit Sektionen, dann doch wohl unsere Frau Doktor.«
»Jetzt reicht’s!« Sofie warf ihm einen warnenden Blick zu, während sie Vroni das Tranchiermesser abnahm und es fachgerecht ansetzte. »Schon a echte Schand, wenn ned amoi der Herr Kriminaler und die eigene Tante wissen, dass ich ned jeden Tag von der Früh bis aufd Nacht Leichen aufschneid. Mir Rechtsmediziner haben zum Glück noch a ganze Menge anderes zu tun. Sonst hätt ich mir des Studium grad schenken können und waar bei der Polizei blieben. Aber bitte, kauts nur munter weiter auf euren Klischees , wenns euch a solche Freud macht!«
Das hatte gesessen. Plötzlich waren die beiden auffallend still. Obwohl sie natürlich teilweise recht hatten – zumindest was Sofies Freude am fachgerechten Tranchieren des Hendls betraf. Aber natürlich würde sie sich hüten, das ausgerechnet hier und jetzt zuzugeben.
Den ersten Schnitt setzte sie bei der rechten Keule, klappte sie mithilfe eines Löffels leicht auf und wiederholte den Vorgang dann auf der linken Seite. Sie schaute kurz auf.
»Wer möcht was?«, fragte sie.
»Ich die Flügel«, sagte die bescheidene Vroni schnell. So war es auch früher schon gewesen, wenn Sofie und ihr Vetter Alois sich am Sonntagstisch regelmäßig um Brust oder Schenkel stritten.
Sofie kippte das Hendl leicht und ließ den Saft in die Reine tropfen, bevor sie es wieder auf das Brett verfrachtete. Sie schnitt weiter entlang des Brustbeins.
»Ein mageres Brüstchen bitte für mich«, sagte Joe. »Ich hab’s nicht so mit dem Fieseln.«
»Das Pfaffenstück – natürlich«, versetzte Sofie, während sie die Schenkel ablöste und zum Schluss mit einem resoluten Schnitt die Flügel für Vroni abtrennte. »Für unseren Herrn Pascha am Tisch! Hoffentlich ist es recht trocken!«
Ihre Blicke trafen sich.
Offensichtlich erinnerten sich beide gleichzeitig an jene goldenen Zeiten, wo sie gemeinsam am Gabelbein gezogen hatten, in der Hoffnung, das größere Knochenstück zu ergattern und damit einen Wunsch frei zu haben.
»Ich kann fei gehn, wenn du mich so unerträglich findest«, sagte Joe schmallippig.
»Nix da!«, widersprach Vroni energisch, die inzwischen jedem einen Berg von Kartoffel- und Krautsalat aufgehäuft hatte. »Warum verzählst uns ned lieber was von deiner Arbeit?«
»Das interessiert hier doch keinen«, murrte er.
»Mich schon. Und dich auch, Sofie, gell?«
Sofie nickte.
»Aber zuerst du«, verlangte Joe. »Soll ja ned ganz einfach sein mit deiner Chefin, dieser Frau Dr. Falk, wie man so hört …«
»Echt?«, sagte Sofie. »Wie kommst jetzt du auf so was? Mein erster Tag war jedenfalls grandios. Ich glaub, die Falk und ich, wir zwei werden noch allerbeste Freundinnen …« Sie lächelte vielsagend. »Und jetzt du. Also?«
»Wir ham da so a komische Brandleiche gfunden«, sagte Joe nachdenklich, während er sich ein Stück Huhn in den Mund schob. »In einem verkohlten Gartenhäusel. Harlaching. Feinste Lage. Tappen aber noch total im Dunkeln. Mayr, dieser Depp, sitzt mir schon gewaltig im Nacken. Wenn ich ned bald was Gscheids zsammbring, seh ich schwarz für meine Beförderung …«
Sein Bariton klang warm und beruhigend, so hatte er schon immer auf Sofie gewirkt. Und fesch sah er aus in seinem lässigen T-Shirt, das sie so
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