Die Kalte Sofie
so galant nach Haus chauffiert hatte, beide Arm in Arm mit George, dem stummen Büro genossen, in dessen weißknöcherner rechter Hand ein Foto flatterte …
Nein, sie hatte alles andere als gut geschlafen.
Erst am frühen Morgen war sie in einen tiefen, traumlosen Schlaf gefallen. Bis der Wecker sie dann daran erinnert hatte, dass es auch noch so etwas wie die Wirklichkeit gab.
Wofür sie, zumindest heute, mehr als dankbar war.
Ganz eilig war sie aus dem Bett und in ihre Klamotten gefahren.
Katzenwäsche.
Kein Kaffee. Auch nicht beim Stehbäcker.
Nach dieser anstrengenden Nacht brannte sie geradezu darauf, sich bis über beide Ohren in die Arbeit zu stürzen.
Im Affentempo war sie den Giesinger Berg hinunter und über die Wittelsbacherbrücke geradelt und hatte dabei alle bösen Träume hinter sich gelassen. Wenigstens würde sie heute superpünktlich sein – und Frau Doktor Iglu keinen Grund zur Beanstandung liefern.
Völlig verschwitzt kam Sofie vor dem weißen Gebäude in der Nußbaumstraße zum Stehen und stieg schwungvoll von ihrem Fahrrad. Grimmig tätschelte sie den verwitterten ledernen Herrensattel. Ein paar Tropfen Öl hatten zum Glück gereicht, um der wandelnden Rostlaube die Zicken auszutreiben. Mal sehen, wie lang es dauern würde, bis die Kette wieder heraussprang.
Sofie richtete sich atemlos auf, setzte den Helm ab und strich sich die Haare aus der Stirn. Mehr aus Gewohnheit denn aus Vernunft legte sie ihren räudigen Drahtesel an die Kette.
Noch mal kurz gestreckt und in diesen traumhaft sonnigen Tag geblinzelt, bevor sie sich ins dunkle Kellerverlies des Instituts begeben würde. Entschlossen wandte sie sich um und stürmte die Treppe zum Eingang hoch, zwei Stufen auf einmal nehmend.
Plötzlich stutzte sie. Das Kabuff des kauzigen Pförtners war verwaist. Komisch.
Sofie stieß gegen die verglaste Eingangspforte: verschlossen.
Was war denn hier los?
Allmählich breitete sich auf Sofies Gesicht ein triumphierendes Grinsen aus. Nicht zu fassen. Sah ganz so aus, als sei sie heute tatsächlich nicht nur pünktlich, sondern – noch besser – die Erste von allen.
Sofie neigte sonst nicht zu Überheblichkeit, aber diese sicher seltene Gelegenheit, vor der Falk, dieser aufgebretzelten Krampfhenne in Flaschengrün, mit der Arbeit zu beginnen, würde sie bewusst genießen.
Schmunzelnd zückte Sofie den Generalschlüssel, den ihr die reizende Kollegin am ersten Tag dann doch, wenn auch widerwillig, ausgehändigt hatte, und öffnete die schwere Eingangspforte.
Nachdem sie weitere Türen aufgesperrt und einen Abstecher in die Teeküche gemacht hatte, wo sie sich schnell einen Pulverkaffee braute, stand sie endlich in dem winzigen, verstaubten Arbeitszimmer, das ihr trotz seiner Enge bereits ans Herz gewachsen war.
Nach der Hektik im Berliner Großraumbüro tat es richtig gut, mal einen Raum ganz für sich allein zu haben, und sei er noch so mini.
Andererseits: Ganz so allein war sie hier auch wieder nicht. Entschuldigend nickte sie George, ihrem knöchernen Zimmergenossen, zu.
Der grinste unschuldig zurück.
Typisch.
Dass George nicht nur in ihren Träumen einen gewissen Hang zu Männerbündelei hegte, war inzwischen unverkennbar. Aber so waren sie nun mal, die Y-Chromosomen. Ansonsten war George äußerst diskret, höflich, immer gut gelaunt, was man von seinen lebenden Artgenossen weiß Gott nicht immer behaupten konnte.
Noch im Nicken entdeckte Sofie ein zusammengefaltetes DIN - A 4-Blatt in Georges rechter Hand.
Was war das denn?
Stirnrunzelnd trat sie näher, nahm George das Papier ab und entfaltete es.
Hi, liebe Frau Doktor Rosenhuth,
bevor ich mich in meinen verdienten Feierabend stürze, hier noch schnell ein paar News:
Bingo. Wie Sie richtig vermutet haben, war in der Asche noch jede Menge organisches Material. Für eine DNA -Analyse hat es jedenfalls locker gereicht.
Ergebnis: männlicher Chromosomensatz. Übereinstimmung mit Daten im Polizeiarchiv noch nicht geprüft.
Nach STR -Marker kein Hinweis auf Mischspuren.
Von einem Moment auf den anderen war Sofie hellwach.
Also war es ein einzelner Mann gewesen, der in dem abgefackelten Siebert’schen Gartenhäuschen ums Leben gekommen war. Was allerdings noch nicht hieß, dass er allein gewesen war.
Hatte der Herr Ministerialdirigent also recht? Waren es tatsächlich Einbrecher, die in den Pavillon eingestiegen und dabei vom Feuer überrascht worden waren? Oder aber: Hatten sie das Feuer vorsätzlich gelegt – und wenn
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