Die Kalte Sofie
voll waren. Laura blieb stehen, angelte die Wasserflasche aus der Tasche und nahm einen tiefen Schluck.
Dann trabte sie weiter stadtauswärts.
Die Decken und Handtücher wurden weniger, je weiter sie gelangte, aber noch immer war sie nicht am Ziel. Schließlich entdeckte sie den idealen Fleck: ein kleines Rasenstück zwischen halbhohen, frisch belaubten Büschen, die Neugierigen die Sicht versperrten, aber von oben die Sonne durchließen.
Sie breitete das Handtuch aus, streckte sich der Länge nach aus, schloss die Augen und genoss die warmen Strahlen auf ihrem Körper.
Keine Lust, Musik zu hören, geschweige denn zu lesen. Sie wollte nur atmen, spüren, genießen.
Nach einer Weile wurde es so heiß, dass Laura den Mini noch weiter nach oben schob. Sollte sie ihn ganz ausziehen und sich lieber im Bikini sonnen?
Zu faul dafür, entschieden zu faul.
Sie döste weiter, verlor sich in lebhaften Tagträumen, während hinter ihren Lidern bunte Farben ineinander verschmolzen.
So versunken war sie, dass sie das Rascheln in ihrer Nähe nicht bemerkte …
24
Versuchungen
D arf’s sonst noch was sein, Sofie?«
Sofie starrte ins Leere.
Dass sie ausgerechnet an diesem strahlend schönen ersten Mai nichts anderes zu tun gehabt hatte, als dienstbeflissen zum Institut zu radeln, während der Rest der Menschheit sich dem süßen Nichtstun hingab, machte ihr immer noch zu schaffen.
Ganz abgesehen davon, dass es mit ihrem Triumph über die Falk nichts geworden war. Leider.
Wie betäubt hatte Sofie erst Spikes Botschaft, dann ihren knöchernen Zimmergenossen und schließlich die diversen Papierberge auf ihrem Schreibtisch angestarrt, die ständig höher wuchsen – so kam es ihr zumindest vor.
Aber sie war tapfer gewesen. Ehrlich.
Hatte nicht gleich die Flucht ergriffen und sich zu all den Sonnenhungrigen gesellt, die inzwischen bestimmt die Biergärten, Freibäder und Isarauen scharenweise bevölkerten. Sie hatte sich ganz brav hinter den Schreibtisch gepflanzt und nach dem erstbesten Gutachtenstapel gegriffen.
Tatsächlich hatte sich der von Sofie vermutete Selbstmord aufgrund der Aktenlage bestätigt. Der Typ war wirklich äußerst raffiniert vorgegangen: Um seinem verhassten Bruder noch post mortem eins auszuwischen und ihn für immer hinter Gitter zu bringen, hatte er für die notwendigen Fingerabdrücke auf dem Revolver gesorgt, bevor er sich selbst in den Nacken geschossen hatte. Dafür sprachen neben den Schmauchspuren an der Hand des Toten eine ganze Reihe weiterer Indizien, etwa der Abfall der Körperkerntemperatur, mit denen sich der Todeszeitpunkt ziem lich exakt eingrenzen ließ. Dass sein Bruder für den entsprechenden Zeitraum ein niet- und nagelfestes Alibi vorweisen konnte, hatte der Mann allerdings nicht vorausahnen können.
Schicksalsergeben hatte Sofie schon zum nächsten Ordner greifen wollen, als ein Sonnenstrahl sich auf ihren Schreibtisch verirrte. Sie hatte aufgesehen und in die golden tanzenden Stäubchen geblinzelt.
Täuschte sie sich, oder zwinkerte George ihr zu? Meinte er, für heute habe sie genug geschafft – hier zumindest?
Dafür gab es daheim leider mehr als genug zu tun. Immer noch stapelten sich unausgepackte Kartons in ihrer Wohnung, um die sie sich dringend kümmern sollte.
Wenn nicht heute, wann dann?
Sofie seufzte. Vielleicht würde später ja noch genug Zeit bleiben, um sich an der Isar in der Frühlingssonne zu rekeln und die in den langen Wintermonaten verblassten Sommersprossen auf ihrer Nase wieder etwas aufzufrischen.
Entschlossen hatte sie den Aktenordner weggeschoben, sich Rucksack und Helm geschnappt und ihrem liebenswürdigen stummen Freund ein dankbares Lächeln zugeworfen. Dann war sie Richtung Ausgang losgedüst.
Inzwischen war auch das gläserne Kabuff besetzt. Beinahe mitleidig hob der Pförtner die Augenbrauen, als er Sofie aus dem Untergeschoss kommen sah.
»Habts ihr da unten jetzt auch schon Dienst an Feiertagen? Als ob’s ned reichen würde, wenn unsereiner ab Mittag anwesend sein muss. Wo doch sowieso nix los is.«
Sofie schüttelte den Kopf.
»Hab nur kurz was erledigen müssen. Ab jetzt hab ich …«, sie zögerte, »… frei.« Jedenfalls, was ihre Pflichten im Institut betraf.
»Dann wünsch ich an schönen ersten Mai, Frau Doktor Rosenhuth.«
Sieh an. Der Bursche konnte ja richtig zuvorkommend sein!
Nachdenklich radelte Sofie Richtung Wittelsbacherbrücke.
Die Auen längs der Isar leuchteten in zartem Frühlingsgrün, die Schneeschmelze
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