Die Kalte Sofie
entlang, von der Wittelsbacherbrücke bis zum Flauchersteg. In der Wirtschaft dort in der Nähe gab’s eine kleine Stärkung für Hund und Herrchen, dann ging’s wieder heimwärts.
So hielt man sich auch mit siebzig fit.
Munter kläffend sauste der kleine Dackel voraus und stürzte sich tollkühn ins kniehohe, regenschwere Gras der Isarböschung.
Schmunzelnd sah Lachner ihm nach. Ja, auch so ein kleiner Bursch hatte seinen Jagdtrieb. Sollte er sich nur austoben! Zum Glück gab’s hier an der Isar keinen Leinenzwang.
Ein kurzes Jaulen. Sekunden später tauchte Egon wieder auf, den Zipfel eines verdreckten, nassen Schlafsacks in der Schnauze, an dem er wütend zerrte.
»Was de junga Leit doch ois liegn lassn … Des is nix für di, Egon. Pfui!«
Egon war anderer Meinung. Aufgeregt stupste er sein Herrchen an, dann stob er davon und zerrte erneut mit all der Kraft, die seinen stolzen acht Kilo zu Gebote stand, an seiner Beute.
Irgendwo zwischen den Gräsern schien der Schlafsack festzuhängen …
Lachner wurde ärgerlich: »Lass des greisliche Trumm, sag i, und kimm endlich!«
Verbissen zog und zerrte Egon weiter.
»Egon!«
Hubert Lachner trat näher.
Der Atem stockte ihm.
Aus dem Schlafsack hing schwer der verkrümmte Körper eines jungen Mädchens. Nasse rote Haare wanden sich wie Schlangen um das bleiche Gesicht mit den geschlossenen Augen …
39
Namenlos
H ektisch durchblätterte Sofie die zahllosen Fotos von Vermissten und Mordopfern. Hinter jedem dieser Gesichter verbarg sich ein trauriges Schicksal. Das rothaarige Mädchen auf dem Foto, das Sofie gestern gefunden hatte, war der Datenbank jedoch völlig unbekannt.
Dabei hatte sie Vanessa, bei der sie morgens noch schnell im beginnenden Regen vorbeigeradelt war, doch fest versprochen, ihr bald eine Antwort geben zu können.
»Ja, genau. Des is des schöne Madl von dem Foto, des ich auf dem Spielplatz gfundn hab.« Ganz aufgeregt war sie gewesen, als Sofie ihr das Bild gezeigt hatte. Mit baumelnden Beinen hatte die Kleine auf ihrem Bett gesessen, die rote Giraffe, die Sofie ihr mitgebracht hatte, fest an sich gedrückt. Morgen durfte sie heim. Weil sie doch schon wieder »soooo gesund« war. Das hatte sie Sofie als Erstes entgegentrompetet.
Zum Glück hatte sie nicht genauer wissen wollen, wie Sofie an das Foto gekommen war. Dafür beschäftigte sie eine andere Frage viel brennender: »Und wer is des Madl?«
Tja, dachte Sofie. Wenn wir das wüssten, wären wir ein gutes Stück weiter.
Missmutig flog nun ihr Blick durch das Kabuff im Souterrain der Nußbaumstraße. Der Regentag ließ es noch trübsinniger erscheinen. Und eng war es hier. Unverschämt eng. Eine unvorsichtige Bewegung hatte vorhin schon den Aktenberg links von Sofie zum Einsturz gebracht. Auf allen vieren hatte sie fluchend herumkriechen müssen, um alles aufzusammeln und dann erneut auf dem Schreibtisch aufzutürmen. Leider hatte der Stoß unerledigter Gutachten, wie sie feststellte, bislang kaum etwas von seiner eindrucksvollen Höhe eingebüßt.
Ein schlechtes Gewissen hatte sie trotzdem nicht.
Viel wichtiger war es ihr, endlich Licht in die Sache mit dem verbrannten Ukrainer namens Jan Schmidt zu bringen. Ganz abgesehen davon, warum die armen Viecher auf so rätselhafte Weise zu Tode gekommen waren.
Die Maus, die an einer Giftinjektion gestorben war. Und dann exakt die gleichen Spuren bei der toten Taube, die Sofie gestern beim Joggen gefunden und nachts im Institut nach allen Regeln der Kunst untersucht hatte.
Vielleicht eine Art ritueller Mord?
Wenn ja, was würde als Nächstes kommen?
Und wer steckte dahinter?
Und was hatte das alles mit dem rothaarigen Mädchen zu tun, dessen Foto im Umkreis der beiden toten Tiere gelegen hatte? Mal ganz abgesehen von den todbringenden Glitzerbonbons, die ganz offensichtlich ebenfalls dazugehörten.
Die Jägerin in Sofie wurde immer unruhiger.
Jede Menge Puzzlestücke – und trotzdem passte nichts zusammen. Sogar ihr Nasenflügel ließ sie im Stich. Nicht das geringste Kribbeln war heute zu spüren.
»Jetzt sag du halt auch mal was!«, wandte sie sich an George, der sie von seiner Ecke aus freundlich angrinste.
Keine Antwort.
»Männer!«, seufzte Sofie frustriert. »Wenn man euch auch nur ein einziges Mal braucht …«
Ein Klopfen an der Tür. Dann steckte Spike seinen maiengrünen Iro herein. Hatte er die Spitzen tatsächlich über Nacht pink eingefärbt?
»Arbeit ruft«, sagte er. »Eine Sektion. Scheint dringend zu
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