Die Kalte Zeit
die Graupners um Hilfe gebeten und Rocco ihr gerade mit seinem Jeep alle Säcke voll Zapfen in die Halle der Nachbarn gefahren hatte. Der Zeitpunkt, um Wolf etwas davon zu erzählen, war denkbar schlecht. Wolf war wütend. Gesa musste erst mal Zeit gewinnen.
»Ich bring Felix ins Bett.« Schnell verließ sie die Küche.
Eine Dreiviertelstunde später, nachdem Gesa Felix beruhigt und gründlicher als nötig die Küche aufgeräumt hatte, gab es keinen plausiblen Grund mehr, sich nicht zu Wolf ins Wohnzimmer zu setzen. Er hatte den Fernseher laut gestellt, um Konrads Musik zu übertönen, und es sich mit hoch gelegten Beinen bequem gemacht. Er schien sich beruhigt zu haben, denn als Gesa sich näherte, zog er die Knie an und machte ihr Platz auf dem Sofa. Pauken grollten aus der unteren Etage.
Gesa hob seine Füße auf ihren Schoß und massierte seine Zehen in den warmen und feuchten Socken, knetete seine Fußsohlen, so wie er es am liebsten mochte. Sie war sich nicht sicher, hatte aber das Gefühl, als entspanne er sich.
Im Fernsehen lief ein Wirtschaftsmagazin. Es ging um die Bankenkrise, doch Gesa hörte nicht hin, was der Moderator im hellgrauen Anzug erzählte. Ihre eigene Finanzkrise reichte ihr.
Auch Wolf sah nicht in Richtung des Bildschirms, er musterte sie. Gesa fühlte sich unbehaglich. »Was ist? Warum siehst du mich so an?«
Wolf lächelte höhnisch. »Ich frage mich, wann du mit der Sprache rausrücken willst.«
Gesa hörte auf zu massieren. Hatte er von der Aktion mit den Zapfen Wind bekommen?
»Du hältst mich wohl für blöde. Aber ich habe längst rausbekommen, was du vorhast, Gesa.« Wolf zog seine Füße weg und setzte sich auf. »Ich hab von dem Angebot der Kommune erfahren.«
Eine Sekunde lang spürte Gesa Erleichterung. Es ging nicht um die Zapfen. Wolf interessierte es nicht im Geringsten, wo Gesa sie hingebracht hatte. Es ging um etwas ganz anderes. Etwas, mit dem sie nichts zu tun hatte.
»Was denn für ein Angebot?«, fragte sie mit neutraler Stimme.
»Du hast Konrad überredet, nicht zu verkaufen, weil deine alten Nordmänner dann abgeholzt werden müssen.« Wolfs sah sie böse an. »Ich hab auch zehn Jahre Lebenszeit hier rein gesteckt. Ich will dieses Geld von der Kommune haben. Wenn es sein muss, verhandle ich selbst mit dem Investor.«
Gesa schüttelte den Kopf. »Ich weiß nicht mal, von welchem Angebot du sprichst.«
Wolf sah ihr prüfend in die Augen. Dann atmete er tief ein und nahm Gesas Hand. »Das ist unsere Chance, Gesa. Da kann ich richtig viel Geld rausholen. Wir beide haben schon viel gemeinsam geschafft. Und wir sind doch glücklich zusammen. Lass uns an einem Strang ziehen. Zu zweit können wir Konrad vielleicht überzeugen. Bürgermeister Hünges selbst will sich der Sache annehmen. Und bei dem Gespräch werde ich . . .«
In diesem Moment wurde die Zimmertür aufgerissen. Es war Konrad. Gesa merkte erst jetzt, dass die Bläser und Pauken im Erdgeschoss schon eine Weile schwiegen. Konrad streckte Wolf ein Blatt entgegen. Es war aus dem dünnen, gerollten Fax-Papier.
»Du machst hinter meinem Rücken Termine mit Hünges?«, sagte er mit leiser, gefährlich klingender Stimme.
»Nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus! Du versaust uns ein Supergeschäft hinter meinem Rücken!« Wolfs Gesicht war rot geworden. Er stand auf. »Hier kocht jeder sein eigenes Süppchen. Aber das kann ich auch. Besser als du.« Er ging aus dem Zimmer, die Tür knallte zu.
»Et eß Kermes em Dörp!«, höhnte Konrad. »Aber so nicht. Nicht mit mir. Sag das deinem Mann.« Er zerknüllte das Fax in der Faust und warf es auf den Boden. Dann schloss er die Tür, ebenfalls mit einem Knall.
Gesa vergrub ihr Gesicht in den Händen. Es gab nur noch Streit. Wie sollte sie jemals mit Konrad oder Wolf offen reden? Zu wem sollte sie halten? Und was würde geschehen, wenn sie Christine Piskes Artikel über Gesa im ‚Nadel Journal’ lesen würden? Oder wissen wollten, wo die Zapfen geblieben waren? Gesa presste die Finger an die Schläfen.
Sie musste ins Bett. Morgen war ein langer Tag. Aber sie war noch viel zu aufgeregt. Außerdem war es besser zu warten, bis Wolf eingeschlafen war.
Gesa saß noch lange auf dem Sofa. Irgendwann hörte sie das leise ,Klack’, mit dem sich die Heizung automatisch abschaltete. Durch die Mauern drang die Kälte der Winternacht herein. Gesa zog die Beine an den Körper und legte eine Wolldecke darüber, trotzdem fror sie. Wolf schnarchte im Nebenzimmer. Auch Konrad
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