Die Kalte Zeit
sorgfältig, verrieb Aftershave auf den Wangen, trat ein letztes Mal vor den Spiegel im Schlafzimmer und betrachtete das Ergebnis. Seriös, sympathisch, Vertrauen erweckend. Ein Mann, mit dem jeder gern Geschäfte macht. Nur seine Nervosität musste er noch in den Griff bekommen, seine Hände zitterten.
Er ging die Treppe hinunter und lauschte an Annas Küchentür. Alles war still. Gesa war zum Lagerplatz gefahren und übernahm für ihn die heutige Warenverteilung. Konrad war nirgends zu sehen. Seit dem Streit gestern Abend hatten sie nicht miteinander gesprochen. Vielleicht wollte Konrad den Termin mit dem Bürgermeister ja ignorieren. Oder er hatte ihn vergessen.
Wolf ging auf den Hofladen zu. Als er sich kurz umwandte, meinte er Annas Kopf im Küchenfenster auftauchen zu sehen. Aber nein, nun fiel es ihm ein: Sie war in der Schule, Felix probte ein Weihnachtsmärchen mit seiner Klasse, und Anna kümmerte sich um die Kostüme. Trotzdem fühlte Wolf sich beobachtet. Er betrat den Hofladen, setzte die Flasche an und ließ den Cognac durch seine Kehle rinnen. Für ein paar Tage allem hier entfliehen. Ins Auto steigen und losfahren, mitten in der Weihnachtssaison. Vielleicht nach Köln. Nach München. Oder weiter, in die Berge. Wolf liebte die Berge. Ein schönes Hotel, in der Sauna schwitzen, ein großes Steak essen, dann aufs Zimmer. Er sah sich nackt auf dem Bett liegen, neben sich eine attraktive Frau. Wen würde er mitnehmen? Anita, die Frau von Max Kuhrau, einem der Schützenkameraden, käme als Kandidatin in Frage. Nicht mehr ganz jung, aber gute Figur. Er traf Anita manchmal im Fitnessstudio. Sie hatte so eine Art, ihn anzusehen. Sie stand auf ihn, das spürte er. Oder die Kleine, die an der Tankstelle in Holzbüttgen aushalf. Jurastudentin aus Düsseldorf, hatte sie ihm erzählt. Anfang zwanzig, langes braunes Haar und Rehaugen. In Wolfs Hose regte sich etwas. Irgendwas musste mal passieren in seinem Leben, er war Vierzig und ein knackiger Kerl. Von früh bis spät arbeiten und ein Eheleben, das an Spannung ungefähr so viel zu bieten hatte wie eine Sitzung des Gemeinderates, das konnte nicht alles sein.
Wolf sah auf die Uhr und erschrak. Der Termin mit Hünges, es wurde Zeit. Er hauchte in seine Hand, roch keinen Alkohol. Er schloss den Hofladen wieder ab, ging dann doch zum Auto, um sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund zu schieben. Da waren Stimmen vor dem Haus. Wolf lief durch die Hofeinfahrt zur Vorderfront.
Konrad war ihm zuvor gekommen! Gerade schüttelte er Bürgermeister Hünges die Hand. Ein zweiter Mann stand neben Hünges, das musste der Sachbearbeiter sein, den Konrad am Telefon beleidigt hatte. Sein Gesichtsausdruck war nicht gerade freundlich. Statt Konrad die Hand zu geben, nickte er ihm nur knapp zu.
»Guten Morgen«, rief Wolf schon aus der Entfernung. Er ignorierte Konrads eisigen Blick. Sein Schwiegervater hatte sich nicht die Mühe gemacht, sich umzuziehen. Er trug wie immer seine speckige Lederweste und die Hose aus braunem Cord, die sich an den Knien ausbeulte.
Wolf kannte Hünges von den Schützenfesten, die der Bürgermeister als Ehrengast besuchte. Im letzten Sommer hatten sie zusammen am Tresen gestanden und ein paar Bierchen gezischt. Wolf als König seines Schützenzuges war schließlich nicht irgendwer.
Nun begrüßten sie sich, und Hünges lächelte herzlich. Das war ein guter Einstieg. Die Wirkung des Cognacs setzte ein, und Wolf fühlte sich fast euphorisch. Es gelang ihm sogar, dem Sachbearbeiter, der sich als Stefan Rohloff vorstellte, einen freundlichen Blick abzuringen. Wolf drückte ihm fest die Hand und sah ihm in die Augen: Keine Sorge, nun bin ich da, Wolf Hendricks, und wir werden das Kind schon schaukeln.
»Konrad, ich schlage vor, wir gehen rauf in unser Wohnzimmer«, sagte er, dann zu den Gästen: »Unten ist es gerade ein wenig eng und ungemütlich, die Erntehelfer essen da mittags.«
Konrad widersprach nicht, was Wolf wiederum als gutes Zeichen wertete.
»Gern«, gab Hünges zurück. Wolf hielt den Besuchern die Tür auf und sie traten ins Haus.
»Ich geh mal vor und zeig Ihnen den Weg.« Wolf war schon auf der Treppe. Nur schnell dem muffigen Geruch hier unten entfliehen. Oben roch es weihnachtlich nach Zimt und Apfel, ein Raumspray, den Gesa gekauft hatte. Die Wohnung war aufgeräumt und geputzt. Das musste man Gesa lassen, sie war eine ordentliche Hausfrau. Wolf öffnete die Tür zum Wohnzimmer und ließ Hünges und Rohloff eintreten. Hünges sah
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