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Die Kalte Zeit

Die Kalte Zeit

Titel: Die Kalte Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Kliem
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Gesa konnte sie verkaufen. Dieses Geld wollte sich Wolf nun auch nicht entgehen lassen.
    »Wer sind Sie überhaupt?«, fragte er. »Wie kommen Sie auf die Idee, ich würde Ihnen unsere Zapfen aushändigen?«
    Der Georgier ballte die Hände. »Guram Tsiklauri. Ihr Vater kennt mich. Fragen Sie ihn nach dem Sohn von Lewan.«
    »Mein Vater? Meinen Sie Konrad Verhoeven. Das ist mein . . .« Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden.
    »Ich will ihn sehen!«
    »Das geht nicht!«
    Bevor Wolf mehr erklären konnte, war der Georgier bei ihm und schlug ihm in den Magen. Wolf stöhnte und krümmte sich zusammen. Er hatte es mit einem hochgradig nervösen Mann zu tun. Ging es hier um Geld, um ein Geschäft mit Nordmanntannensamen? Wolf kam es vielmehr so vor, als habe der Georgier eine persönliche Rechnung zu begleichen. Solange Wolf nicht wusste, was dahinter steckte, war der andere schwer einzuschätzen. Der Georgier war eine Gefahr.
    Wolf richtete sich langsam auf. Für die Kröten, die sich mit den Nordmannsamen verdienen ließen, würde er sich nicht verprügeln lassen. Dann lieber einen sauberen Schnitt. Er würde die Zapfen abgeben. Mit vor Schmerz verzogenem Gesicht sagte Wolf: »Verdammt, du kannst deine Scheißzapfen haben.«
    Innerlich frohlockte er. Das war wirklich eine elegante Lösung.
     
    Gesa und Lars gingen hinüber zum Nachbarhof. Es konnte nur Einbildung sein, aber Gesa erschien es im Hof der Martinis noch einige Grade kälter als auf der Straße.
    Seit gestern hatte sich hier nichts verändert, nur eine Schicht Raureif bedeckte nun wie eine glitzernde Decke das Chaos. Gesas Blick wanderte zu den Fenstern im Wohnhaus. Nirgendwo Licht, die Vorhänge des Schlafzimmers waren zugezogen. Es war fast unwirklich still. Nur ganz leise drang das Motorengeräusch von Wolfs Portaltraktor durch die Hofmauern.
    »Sie schlafen noch«, flüsterte Gesa. »Am besten, wir gehen wieder.« Lars deutete ein Nicken an.
    Ein jämmerlicher Schrei zerriss die Stille. Er klang wie von einem Baby und doch ganz und gar unmenschlich. Der Laut war aus der Scheune gekommen. Oben vom Heuboden? Gesa kroch eine Gänsehaut den Rücken hinauf.
    Lars runzelte die Stirn und lief an der verrosteten Heurutsche vorbei in die dunkle Öffnung des Scheunentors. Er stolperte über ein am Boden liegendes Fahrrad, fluchte und rieb sich die Fessel. Gesa folgte ihm. Langsam gewöhnten sich ihre Augen an das Dunkel. Schemenhaft tauchten Gegenstände auf. Die Leiter, die auf den Heuboden führte, in der Ecke weitere Fahrräder, aneinander gelehnt.
    Wieder drang ein von Schmerz erfüllter Laut zu ihnen, hohl und gespenstisch.
    »Was ist denn das? Eine Katze?«, fragte Lars und stieg auch schon die Leiter hinauf. Er verschwand zwischen Heuballen. Gesa fürchtete sich, allein zu bleiben. Wie albern. Schon als Kind war sie hier herum geklettert. Damals kannte sie keine Angst vor bösen Geistern, die auf sie lauerten. Damals war alles so klar und überschaubar gewesen. Wenn sie zu spät zum Abendessen kam, oder eine schlechte Note in der Schule bekommen hatte, setzte es eine Ohrfeige von Konrad. Davor hatte sie sich gefürchtet. Wie gern hätte sie dieses schlichte Gefühl getauscht mit dem, was sie heute als erwachsene Frau empfand: eine diffuse Bedrohung, die Ahnung, alles falsch zu machen in ihrem Leben.
    Mit beiden Händen die Sprossen umklammernd, stieg sie auf den Heuboden. Hier oben war es ein wenig heller, durch die offene Fensterluke fiel Licht. Gesa spähte hinaus, sah auf die Eingangsfront ihres eigenen Hofes hinab. Die braune Haustür mit Kassettenmuster, die sie so hässlich fand. Konrad hatte sie auch tagsüber abgeschlossen. Gesa hatte nie verstanden, warum. Die Tür im Hof war immer offen, und jeder Fremde konnte sich Zutritt verschaffen, wenn er es wollte.
    Im Vorgarten standen die Buchsbäume Spalier. Im März kamen die Krokusse dazu, im April die Tulpen, geordnet nach Sorten und Farben, Blumensoldaten in Reih und Glied, so wie es Konrad gefallen hatte.
    Gesa sah sich nach Lars um. Er war in die Hocke gegangen und tastete mit den Händen zwischen den Ballen herum. »Gesa. Hier liegt eine Decke.«
    Sie trat näher. In einer Vertiefung im Heu war eine grobe Pferdedecke ausgebreitet. An einem Ballen lehnte eine Flasche.
    Lars hielt sie nah an die Augen. »Das Etikett sieht russisch aus. Was hat das zu bedeuten?«
    Gesa blickte zum Fenster. Kälte kroch ihren Rücken hinauf. War jemand hier oben gewesen, um ihr Haus zu beobachten? Nein, der Gedanke

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