Die Kalte Zeit
war absurd. Wer sollte das tun und warum?
Ein Schatten bewegte sich flink auf sie zu. Gesa erschrak. Es war eine Katze. Ihre Augen glitzerten grün und gierig. Sie war trächtig, gleichzeitig abgemagert bis auf die Knochen. Sie stieß einen durchdringenden Klagelaut aus.
»Tja, nun wissen wir wenigstens, wer hier so weint«, sagte Lars fast zärtlich. Er ging in die Hocke und streckte die Hand nach der Katze aus. Sie strich an seinem Hosenbein entlang und ließ sich am Kopf kraulen. »Armes kleines Vieh.“
Gesa stand ganz still und sah ihn an. Lars wandte den Kopf, und ihre Blicke begegneten sich. Er richtete sich auf.
Die Katze reckte den Kopf nach seiner Hand, dann fauchte sie in Gesas Richtung.
Lars zog Gesa an sich. Sie standen eng umschlungen. Lars beugte den Kopf zu ihr, und wie früher ging Gesa auf die Zehenspitzen, bis ihre Lippen sich fanden. Der Kuss war zärtlich, behutsam. Lars’ Finger tasteten, öffneten ihren Mantel, schlüpften darunter, dann unter ihren Pullover, tanzten auf ihrem Rücken, auf ihrer Taille und ihren Brüsten wie leichtfüßige Ballerinas. Gesa streichelte über die seidige Wolle seines Mantels, weit außen, noch Welten entfernt von Lars’ Haut. Sie spürte Augen um sich herum, den grünen Blick der Katze und noch andere, kalte, graue Augen, die hinter den Heuballen lauerten.
Lars hielt inne, sah ihr ins Gesicht. Gesa schloss die Augen. Wieder ein Kuss. Vorsichtiges Abstreifen ihres Mantels. Jede Bewegung war wie eine Frage. Gesa sehnte sich für einen Moment nach Wolf. Er packte zu, nahm sich gierig, was er brauchte. Gesa wollte nichts selbst entscheiden müssen. Sie wollte mitgerissen werden wie in einem Strom.
Lars zog sich aus, ließ den Mantel, Pullover und Hemd neben sich fallen. Gesa küsste seinen nackten Oberkörper.
»Komm her«, flüsterte er und zog Gesa hinunter auf die Pferdedecke. Er kniete sich über sie, entkleidete sie bis zur Taille, beugte sich zu ihr und bedeckte ihre Brüste mit Küssen. Gesa hielt die Augen geschlossen, doch hinter dem Dunkel ihrer Lider spürte sie die Präsenz der fremden Augen, ein weißes, böses Glitzern der Iris.
Lars öffnete Gesas Jeans. Gesa atmete schneller und alle ihre Sinne richteten sich auf seine Berührungen. Lars flüsterte etwas in ihr Ohr, das sie nicht verstand. Sie schlang die Arme um ihn und zog ihn zu sich heran, spürte sein Gewicht auf ihrem Körper, seine Erregung. Das Heulen des Martinshorns nahm Gesa erst wahr, als Lars mit beiden Händen ihre Schultern umfasste. Er hob den Kopf, angespannt lauschend. Gesa hatte vergessen, wo sie sich
befand, nun trat die Umgebung deutlich hervor: Wände aus Heu, Spinnweben unter den Deckenbalken. Die Wolldecke kratzte an ihrem Rücken.
Motorgeräusche wurden lauter, das Martinshorn schwoll an und erstarb plötzlich. Fahrzeuge bogen in den Hof ein. Lars’ Gesicht war blass. Er stand auf, suchte seine Sachen zusammen und zog sich an. Gesa fand ihre Hose, ihr T-Shirt, streifte beides über.
Sie hörte Männerstimmen, die knappe Anweisungen gaben, dann rief eine Frau. »Machen Sie schnell!« Das war Juliane!
Was war passiert? Wieso war Juliane da?
»Was ist da los?«, flüsterte Lars.
»Ich weiß nicht.« Gesa zog ihre Stickjacke an, ordnete ihr Haar.
Lars blickte um sich. Er griff nach der Decke. In diesem Moment erfasste der Schein einer Taschenlampe sein Gesicht.
»Halt! Keine Bewegung!« Kopf und Schultern eines uniformierten Polizisten tauchten in der Luke auf. »Wer sind Sie?«
»Polizei. Lars Schäffer, Regionalkommissariat Kaarst. Das ist eine Nachbarin, Gesa Hendricks. Sie wollte nach den Bewohnern des Hofes sehen und hat mich gebeten, mitzugehen. Wir haben hier oben Geräusche gehört. Schreie. Es war aber nur eine trächtige Katze.«
Der Polizist sah Lars überrascht an. »Da drüben im Wohntrakt liegt ein Toter.«
Gesa wusste nicht mehr, wie sie die Leiter herunter gekommen war. Als sie die Scheune verlassen wollte, startete ein Rettungswagen und fuhr davon. Ein Polizeiauto stand im Hof, und ein Leichenwagen mit Neusser Kennzeichen rollte langsam rückwärts auf sie zu.
Gesa suchte an der Scheunenwand Halt. Ein Sarg wurde aus dem Haus getragen und in den schwarzen Kombi geschoben. Er fuhr ab. Lars war nirgendwo zu sehen. Gesa
hörte jemanden im Wohnhaus schluchzen. Gesa setzte einen Fuß vor den anderen. Sie fühlte sich, als hinge sie an Fäden, die von einem unsichtbaren Marionettenspieler geführt wurden. Sie ging ins Haus. In der Küche saß
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