Die Kammer
sie sagen, na, wenn schon.
»Er ist schließlich mein Vetter ersten Grades«, sagte Adam. »Und meines Wissens und vorbehaltlich weiterer Offenbarungen ist er der einzige Vetter ersten Grades, den ich habe.«
»Du würdest ihn nicht mögen.«
»Natürlich nicht. Er ist zum Teil ein Cayhall.«
»Nein. Er ist voll und ganz ein Booth. Phelps wollte einen Sohn, warum, weiß ich nicht. Und so hatten wir einen Sohn. Phelps hatte natürlich kaum Zeit für ihn. Immer zu sehr mit der Bank beschäftigt. Er nahm ihn mit in den Country Club und versuchte, ihm das Golfspielen beizubringen, aber es funktionierte nicht. Walt mochte den Sport nicht. Sie fuhren einmal zusammen nach Kanada, um Fasanen zu jagen, und nach ihrer Rückkehr haben sie eine Woche lang nicht miteinander geredet. Er war kein Weichling, aber ein Sportler war er auch nicht. Phelps war in der Schule eine große Sportskanone - Football, Rugby, Boxen und so weiter. Walt versuchte mitzuhalten, aber er hatte einfach kein Talent dazu. Phelps bedrängte ihn noch härter, und Walt rebellierte. Daraufhin schickte ihn Phelps mit der für ihn typischen Strenge in ein Internat. Mein Sohn verließ das Haus, als er fünfzehn Jahre alt war.«
»Welches College hat er besucht?«
»Er verbrachte ein Jahr in Cornell, dann ist er ausgestiegen.«
»Ausgestiegen?«
»Ja. Nach seinem ersten Jahr dort ist er nach Europa gefahren und seither dort geblieben.«
Adam musterte ihr Gesicht und wartete auf mehr. Er trank einen Schluck von seinem Mineralwasser und wollte gerade etwas sagen, als der Kellner erschien und eine große Schüssel mit grünem Salat zwischen sie stellte.
»Weshalb ist er in Europa geblieben?«
»Er fuhr nach Amsterdam und verliebte sich.«
»In ein nettes holländisches Mädchen?«
»Einen netten holländischen Jungen.«
»Ich verstehe.«
Sie interessierte sich plötzlich für den Salat, den sie auf ihren Teller packte und in kleine Stücke zu zerschneiden begann. Adam folgte ihrem Beispiel, und sie aßen eine Weile schweigend, während sich das Bistro füllte und lauter wurde. Ein junges Yuppie-Paar, attraktiv und erschöpft, ließ sich an einem kleinen Tisch neben ihnen nieder und bestellte harte Drinks.
Adam strich Butter auf ein Brötchen und biß ein Stück ab, dann fragte er: »Und wie hat Phelps reagiert?«
Sie wischte sich die Mundwinkel ab. »Die letzte Reise, die Phelps und ich zusammen gemacht haben, führte nach Amsterdam, um unseren Sohn zu finden. Da war er schon seit fast zwei Jahren fort. Er hatte ein paarmal geschrieben und mich gelegentlich angerufen, aber dann kam kein Lebenszeichen mehr von ihm. Wir machten uns natürlich Sorgen, also flogen wir hinüber und wohnten in einem Hotel, bis wir ihn gefunden hatten.«
»Was tat er?«
»Er arbeitete als Kellner in einer Kneipe. Hatte in jedem Ohr einen Ohrring. Sein Haar war wie abgehackt. Verrückte Kleidung. Er trug diese komischen Holzbotten und Wollsocken. Sprach fließend Holländisch. Wir wollten keine Szene machen, also baten wir ihn, in unser Hotel zu kommen. Er tat es. Es war grauenhaft. Einfach grauenhaft. Phelps ging die Sache an wie der Idiot, der er ist, und der Schaden war irreparabel. Wir reisten ab und kehrten nach Hause zurück. Phelps machte eine Staatsaktion daraus, sein Testament zu ändern und Walt aus der Vermögensverwaltung auszuschließen.«
»Er ist nie wieder nach Hause gekommen?«
»Nie. Ich treffe mich alljährlich in Paris mit ihm. Wir kommen beide allein, das ist die einzige Regel. Wir wohnen in einem netten Hotel und verbringen eine Woche miteinander, wandern durch die Stadt, essen zusammen, besuchen die Museen. Es ist der Höhepunkt meines Jahres. Aber er haßt Memphis.«
»Ich würde ihn gern kennenlernen.«
Lee musterte ihn eingehend, dann wurden ihre Augen feucht. »Wenn das ernst gemeint war, würde ich dich gern mitnehmen.«
»Es ist ernst gemeint. Mich stört es nicht, daß er schwul ist. Ich möchte meinen Vetter ersten Grades wirklich gern kennenlernen.«
Sie holte tief Luft und lächelte. Die Ravioli kamen auf zwei vollen, einladend dampfenden Tellern. Ein langer Laib Knoblauchbrot wurde auf den Tisch gelegt, und der Kellner war verschwunden.
»Weiß Walt über Sam Bescheid?« fragte Adam.
»Nein. Ich hatte nie den Mumm, es ihm zu sagen.«
»Weiß er über mich und Carmen Bescheid? Über Eddie? Über irgend etwas aus der ruhmreichen Geschichte unserer Familie?«
»Ja, ein wenig. Als er klein war, habe ich ihm erzählt, daß er
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