Die Kammer
Zündschnur im Kofferraum war vermutlich von dem früheren Besitzer des Wagens dort zurückgelassen worden, einem Mr. Carson Jenkins, einem Straßenbau-Unternehmer aus Meridian. Mr. Carson Jenkins sagte aus, daß er bei seiner Arbeit ständig mit Dynamit zu tun hatte und daß er offenbar die Zündschnur einfach im Kofferraum liegengelassen hatte, als er den Wagen an Dogan verkaufte. Mr. Carson Jenkins war Lehrer in einer Sonntagsschule, ein ruhiger, schwer arbeitender, hochanständiger kleiner Mann, dem man aufs Wort glaubte. Außerdem gehörte er dem Ku-Klux-Klan an, aber das wußte das FBI nicht. Clovis dirigierte seine Aussage makellos.
Daß Cayhall seinen Wagen bei der Raststätte in Cleveland stehengelassen hatte, fand weder die Polizei noch das FBI heraus. Bei seinem ersten Anruf aus dem Gefängnis hatte er seiner Frau Anweisung erteilt, sofort mit seinem Sohn Eddie nach Cleveland zu fahren und den Wagen zu holen. Glücklicher hätte es sich für die Verteidigung nicht fügen können.
Aber das stärkste Argument, das Clovis Brazelton vorbrachte, war einfach, daß niemand beweisen konnte, daß seine Mandanten sich verschworen hatten, irgend etwas zu unternehmen. Und wie in aller Welt können Sie, die Geschworenen von Nettles County, diese beiden Männer in den Tod schicken?
Nach vier Verhandlungstagen zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Clovis garantierte seinem Mandanten einen Freispruch. Die Anklage war ziemlich sicher, daß es dazu kommen würde. Die Kluxer rochen schon einen Sieg und verstärkten das Tempo auf dem Rasen vor dem Gebäude.
Es gab weder Freisprüche noch Verurteilungen. Zwei der Geschworenen stellten sich, was bemerkenswert war, auf die Hinterbeine und drängten auf Verurteilung. Nachdem sie anderthalb Tage beraten hatten, teilten die Geschworenen dem Richter mit, daß die Jury sich hoffnungslos festgefahren hatte. Das Verfahren wurde als ergebnislos erklärt, und Sam Cayhall kehrte nach fünf Monaten zum erstenmal nach Hause zurück.
Das Wiederaufnahmeverfahren fand sechs Monate später in Wilson County statt, einer weiteren ländlichen Gegend, vier Autostunden von Greenville und hundert Meilen vom Ort des ersten Prozesses entfernt. Beim ersten Prozeß hatte es Beschwerden über Versuche des Klans gegeben, mögliche Geschworene einzuschüchtern, und deshalb verlegte der Richter aus Gründen, die nie erklärt wurden, die Verhandlung in eine Gegend, in der es von Kluxern und ihren Sympathisanten nur so wimmelte. Die Jury war abermals rein weiß und enthielt mit Sicherheit keine Juden. Clovis erzählte dieselben Geschichten mit denselben Pointen. Mr. Carson Jenkins erzählte dieselben Lügen.
Die Anklage änderte ihre Strategie ein wenig ab, aber es nützte nichts. Der Staatsanwalt ließ die Hauptanklagepunkte fallen und drängte auf eine Verurteilung wegen einfachen Mordes. Damit stand eine Todesstrafe nicht mehr zur Debatte, und die Jury konnte, wenn sie wollte, Cayhall und Dogan auch nur des Totschlags für schuldig befinden, ein erheblich geringfügigeres Vergehen, aber es gäbe doch wenigstens eine Verurteilung.
Im zweiten Verfahren gab es etwas Neues. Marvin Kramer saß in einem Rollstuhl in der ersten Reihe und funkelte drei Tage lang die Geschworenen an. Ruth hatte versucht, den ersten Prozeß zu verfolgen, war aber nach Greenville zurückgekehrt, wo sie abermals wegen psychischer Probleme ins Krankenhaus gebracht werden mußte. Marvin hatte seit dem Bombenanschlag mehrere Operationen über sich ergehen lassen, und seine Ärzte hatten ihm nicht erlaubt, nach Nettles County zu reisen.
Die meisten Geschworenen konnten es nicht ertragen, ihn anzusehen. Sie hielten die Blicke von den Zuschauern abgewandt und hörten mit einer für Geschworene bemerkenswerten Aufmerksamkeit den Zeugen zu. Nur eine junge Frau, Sharon Culpepper, selbst Mutter von Zwillingen, konnte nicht anders. Sie schaute immer wieder zu Marvin hinüber, und viele Male trafen sich ihre Blicke. Seine Augen flehten um Gerechtigkeit.
Sharon Culpepper war von den zwölf Geschworenen die einzige, die von Anfang an für eine Verurteilung stimmte. Zwei Tage lang wurde sie von ihren Mitgeschworenen bedrängt und auf die übelste Weise beschimpft. Sie brachten sie zum Weinen, aber sie blieb bei ihrem Votum.
Der zweite Prozeß endete unentschieden mit elf Stimmen gegen eine. Der Richter erklärte das Verfahren für ergebnis los und schickte alle nach Hause. Marvin.Kramer kehrte nach Greenville zurück und dann
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