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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sicherzugehen, daß sie sich nicht mehr trafen, vertrieb er die Lincolns aus ihrem Haus.«
    »Großer Gott!«
    »Er gab ihnen eine Woche, um zu verschwinden, und der Sheriff erschien, um seine beschworene Pflicht zu tun und sie zum Verlassen des Hauses zu zwingen. Sam versicherte Mutter, daß die Zwangsräumung völlig Rechtens war. Das war das einzige Mal, wo ich überzeugt war, daß sie ihn verlassen würde. Ich wollte, sie hätte es getan.«
    »Hat Eddie Quince je wiedergesehen?«
    »Jahre später. Als Eddie seinen Führerschein bekommen hatte, fing er an, nach den Lincolns zu suchen. Sie waren in ein kleines Nest auf der anderen Seite von Clanton gezogen, und da hat Eddie sie gefunden. Er entschuldigte sich hundertmal und sagte immer wieder, wie leid es ihm täte. Aber sie sind nie wieder Freunde geworden. Ruby forderte ihn auf zu verschwinden. Er hat mir erzählt, daß sie in einer elenden Hütte wohnten, ohne elektrischen Strom.«
    Sie wanderte zu ihrem Hickorybaum und setzte sich dicht an den Stamm. Adam folgte ihr und lehnte sich stehend dagegen. Er schaute auf sie herab und dachte an all die Jahre, die sie diese Last getragen hatte. Und er dachte an seinen Vater, an die Qualen, unter denen er gelitten, an die unauslöschlichen Narben, die er bis zu seinem Tod getragen hatte. Jetzt hatte Adam den ersten Hinweis darauf, weshalb sein Vater sich das Leben genommen hatte, und er fragte sich, ob die Teile wohl eines Tages zusammenpassen würden. Er dachte an Sam, und als er einen Blick auf die Veranda warf, konnte er einen jüngeren Mann dort stehen sehen, mit einer Flinte und Haß im Gesicht. Lee schluchzte leise.
    »Was hat Sam hinterher getan?«
    Sie versuchte, ihre Fassung zurückzugewinnen. »Das Haus war eine Woche lang sehr ruhig, vielleicht auch einen Monat lang, ich weiß es nicht. Aber mir kam es vor wie eine Ewigkeit, bis beim Essen wieder jemand sprach. Eddie blieb hinter verschlossener Tür in seinem Zimmer. Ich konnte ihn nachts weinen hören, und er sagte mir immer und immer wieder, wie sehr er seinen Vater haßte. Er wünschte inbrünstig, er wäre tot. Er wollte von zu Hause fortlaufen. Er gab sich selbst die Schuld an allem. Mutter fing an, sich Sorgen um ihn zu machen, und verbrachte eine Menge Zeit mit ihm. Was mich anging, so dachten alle, ich wäre im Wald gewesen und hätte dort gespielt, als es passierte. Kurz nachdem Phelps und ich geheiratet hatten, fing ich an, heimlich einen Psychiater aufzusuchen. Ich versuchte, durch eine Therapie darüber hinwegzukommen, und ich wollte, daß Eddie das auch tat. Aber er wollte nichts davon hören. Als ich das letztemal vor seinem Tod mit Eddie sprach, erwähnte er den Mord. Er ist nie darüber hinweggekommen.«
    »Und du bist darüber hinweggekommen?«
    »Das habe ich nicht gesagt. Die Therapie hat geholfen, aber ich frage mich noch heute, was passiert wäre, wenn ich Daddy angeschrien hätte, bevor er auf den Abzug drückte. Hätte er Joe umgebracht, während seine Tochter zuschaute? Ich glaube es nicht.«
    »Das ist vierzig Jahre her. Du kannst dir nicht die Schuld daran geben.«
    »Eddie hat mir die Schuld daran gegeben. Und er hat sich die Schuld daran gegeben, und wir haben uns gegenseitig Vorwürfe gemacht, bis wir erwachsen waren. Wir waren Kinder, als es passierte, und wir konnten uns unseren Eltern nicht anvertrauen. Wir waren hilflos.«
    Adam fielen hundert Fragen ein zu dem Mord an Joe Lincoln. Es war nicht zu erwarten, daß Lee noch einmal über dieses Thema sprechen würde, und er wollte alles wissen, was passiert war, bis ins kleinste Detail. Wo war Joe begraben worden? Was war aus seiner Schrotflinte geworden? Wurde in der Lokalzeitung über seinen Tod berichtet? War der Fall vor einer Anklagejury verhandelt worden? Hatte Sam die Sache je seinen Kindern gegenüber erwähnt?
    Wo war ihre Mutter gewesen? Hatte sie den Streit und den Schuß gehört? Was war aus Joes Familie geworden? Lebte sie immer noch in Ford County?
    »Laß es uns niederbrennen, Adam«, sagte sie entschieden, wischte sich das Gesicht ab und funkelte ihn an.
    »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
    »Doch, das ist es. Laß uns den ganzen verdammten Laden abbrennen, das Haus, den Schuppen, diesen Baum, das Gras und das Unkraut. Das ist überhaupt kein Problem. Nur ein paar Streichhölzer hier und dort. Also los.«
    »Nein, Lee.«
    »Komm schon.«
    Adam beugte sich sanft herunter und ergriff ihren Arm. »Laß uns losfahren, Lee. Für einen Tag habe ich genug

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