Die Kammer
zu ziehen, aber bald war die Fröhlichkeit wieder verflogen, und der Ernst kehrte zurück. So saßen sie denn beide dicht nebeneinander auf der Schreibtischkante, jeder mit den Füßen auf einem eigenen Stuhl, und starrten auf den Boden, während über ihnen in der unbewegten Luft dicke Rauchschwaden waberten.
Es gab so vieles, worüber geredet werden mußte, und dennoch hatten sie einander wenig zu sagen. Rechtsauslegungen und juristische Manöver waren bis ins letzte Detail durchgekaut worden. Die Familie war ein Thema, das so weit erörtert worden war, wie sie sich getraut hatten. Das Wetter gab auch nicht mehr her als fünf Minuten vage Vorhersagen. Und außerdem wußten beide, daß sie einen Großteil der nächsten zweieinhalb Tage miteinander verbringen würden. Ernsthafte Angelegenheiten konnten warten. Unangenehme Themen konnten noch ein wenig länger aufgeschoben werden. Zweimal schaute Adam auf die Uhr und sagte, er müßte jetzt losfahren, und beide Male bestand Sam darauf, daß er noch blieb. Denn wenn Adam ging, dann würden sie kommen und ihn in seine Zelle zurückbringen, in den kleinen Käfig, in dem es jetzt um die vierzig Grad heiß sein würde. Bitte bleib noch, flehte er.
In dieser Nacht, lange nach Mitternacht, lange nachdem Adam Carmen von Lee und ihren Problemen erzählt hatte und von Phelps und Walt, von McAllister und Wyn Lettner und von der Theorie, daß Sam einen Komplizen gehabt hatte, Stunden nachdem sie eine Pizza gegessen und über ihre Mutter, ihren Vater, ihren Großvater und die ganze traurige Sippschaft geredet hatten, sagte Adam, daß der eine Moment, den er nie vergessen würde, der war, wie sie beide da auf dem Schreibtisch gesessen und die Zeit schweigend hatten vergehen lassen, während eine unsichtbare Uhr tickte und Sam sein Knie tätschelte. Es war fast so, als hätte er das Bedürfnis verspürt, mich auf irgendeine zärtliche Art zu berühren, hatte er ihr erklärt, so, wie ein guter Großvater ein kleines Kind berührt, das er liebt.
Für eine Nacht hatte Carmen genug gehört. Sie hatte vier Stunden auf der Terrasse gesessen, unter der hohen Luftfeuchtigkeit gelitten und sich die trostlose Geschichte der Familie ihres Vaters angehört.
Aber Adam war sehr vorsichtig gewesen. Er hatte die Gipfel gestreift und die jämmerlichen Täler übersprungen kein Wort über Joe Lincoln oder die Lynchmorde, auch keinerlei Andeutungen über andere Verbrechen. Er schilderte Sam als gewalttätigen Mann, der entsetzliche Fehler begangen hatte und jetzt unter der Last der Reue fa st zusammenbrach. Er hatte mit dem Gedanken gespielt, ihr sein Video von Sams Prozessen zu zeigen, sich aber dagegen entschieden. Vielleicht später mal. Für eine Nacht hatte sie genug zu verkraften. Manchmal konnte er die Dinge, die er in den letzten vier Wochen gehört hatte, einfach nicht glauben. Es wäre grausam, all das auf einmal auf sie einprasseln zu lassen. Er liebte seine Schwester von ganzem Herzen. Sie hatten Jahre Zeit, um sich über den Rest der Geschichte zu unterhalten.
45
M ontag, der 6. August, 6 Uhr morgens. Noch zweiundvierzig Stunden. Adam betrat sein Büro und schloß die Tür hinter sich ab. Er wartete bis sieben, dann rief er Slatterys Büro in Jackson an. Natürlich meldete sich niemand, aber er hoffte auf eine Tonbandaufzeichnung, die ihn vielleicht zu einer anderen Nummer dirigierte und damit vielleicht zu jemandem, der ihm etwas sagen konnte. Slattery saß auf der Eingabe wegen geistiger Unzurechnungsfähigkeit, ignorierte sie einfach, als wäre sie irgendein belangloser Vorgang.
Er rief die Auskunft an und erfuhr die Privatnummer von F. Flynn Slattery, beschloß aber, ihn nicht zu belästigen. Er würde bis neun Uhr warten.
Adam hatte keine drei Stunden geschlafen. Sein Puls hämmerte, das Adrenalin jagte durch seinen Körper. Sein Mandant war jetzt bei den letzten Stunden angekommen, und verdammt noch mal, Slattery sollte rasch entscheiden, so oder so. Es war nicht fair, wenn er auf der verdammten Eingabe saß und auf diese Weise verhinderte, daß Adam damit zu den anderen Gerichten rannte.
Das Telefon klingelte, und er stürzte hin. Der Death Clerk des Fünften Berufungsgerichts teilte ihm mit, daß das Gericht Sams Klage wegen unzulänglicher Rechtsberatung abgewiesen hatte. Das Gericht war der Ansicht, daß die Klage aus verfahrensrechtlichen Gründen unzulässig war. Sie hätte fünf Jahre früher eingereicht werden müssen. Mit dem Inhalt der Klage hatte das Gericht sich
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