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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gesprochen?«
    »Einmal.«
    »Sie kümmern sich nicht sonderlich viel um die Insassen der Todeszellen, nicht wahr, Dr. Stegall?«
    »Doch, das tue ich.«
    »Wie viele Männer sitzen zur Zeit im Todestrakt?«
    »Ich, äh, ich weiß es nicht genau. Ungefähr vierzig, glaube ich.«
    »Mit wie vielen von ihnen haben Sie gesprochen? Nennen Sie uns ein paar Namen.«
    Ob es Angst war oder Wut oder Ignoranz, vermochte niemand zu sagen. Aber Neldeen erstarrte. Sie verzog das Gesicht und legte den Kopf auf eine Seite, offensichtlich bemüht, einen Namen aus der Luft zu greifen, und ebenso offensichtlich dazu nicht imstande. Adam ließ sie einen Moment hängen, dann sagte er: »Danke, Dr. Stegall.« Er machte kehrt und wanderte langsam zu seinem Platz zurück.
    »Rufen Sie bitte Ihren nächsten Zeugen auf«, verlangte Slattery.
    »Der Staat ruft Sergeant Clyde Packer auf.«
    Packer wurde vom Flur geholt und in den vorderen Teil des Gerichtssaals geführt. Er war nach wie vor in Uniform, nur die Waffe hatte er abgelegt. Er schwor, die Wahrheit zu sagen, und nahm seinen Platz im Zeugenstand ein.
    Das Gewicht von Packers Aussage war für Adam keine Überraschung. Packer war ein ehrlicher Mann, der einfach berichtete, was er gesehen hatte. Er kannte Sam seit nunmehr neuneinhalb Jahren, und er war heute derselbe Mann wie der, der damals eingeliefert worden war. Er tippte den ganzen Tag Briefe und Schriftsätze, las viele Bücher, in erster Linie juristische. Er schrieb für seine Freunde im Todestrakt Eingaben an die Gerichte, und er schrieb Briefe an Ehefrauen und Freundinnen für diejenigen von ihnen, die Analphabeten waren. Er rauchte fast ununterbrochen, weil er sich umbringen wollte, bevor der Staat es tat. Er verlieh Geld an Freunde. Nach Packers bescheidener Ansicht war er gegenwärtig geistig ebenso hellwach, wie er es vor neuneinhalb Jahren gewesen war. Und sein Verstand war sehr rege.
    Slattery beugte sich ein wenig vor, als Packer über Sams Damespiel mit Henshaw und Gullitt berichtete.
    »Gewinnt er?« fragte Seine Ehren.
    »Fast immer.«
    Der Wendepunkt der Verhandlung trat vielleicht ein, als Packer die Geschichte von Sams Wunsch erzählte, vor seinem Tod noch einmal einen Sonnenaufgang zu sehen. Es war Ende der vorigen Woche gewesen, als Packer eines Morgens seine Runde machte. Sam hatte diesen Wunsch ganz gelassen geäußert. Er wußte, daß er bald sterben würde, hatte gesagt, er wäre dazu bereit, und ob er nicht ganz früh am Morgen hinausdürfe in das Freigelände, um zu sehen, wie die Sonne aufging. Also hatte Packer das veranlaßt, und am letzten Samstag hatte Sam eine Stunde damit verbracht, Kaffee zu trinken und auf die Sonne zu warten. Hinterher war er sehr dankbar gewesen.
    Adam hatte keine Fragen an Packer. Er wurde entlassen und verließ den Gerichtssaal.
    Roxburgh rief Ralph Griffin, den Gefängnisgeistlichen, als nächsten Zeugen auf. Griffin wurde zum Zeugenstand geführt und sah sich unbehaglich im Saal um. Er nannte Namen und Beruf, dann richtete er verdrossen den Blick auf Roxburgh.
    »Kennen Sie Sam Cayhall?« fragte Roxburgh.
    »Ja.«
    »Haben Sie kürzlich mit ihm gesprochen?«
    »Ja.«
    »Wann zuletzt?«
    »Gestern. Sonntag.«
    »Und wie würden Sie seine geistige Verfassung beschreiben?«
    »Das kann ich nicht.«
    »Wie bitte?«
    »Ich sagte, ich kann seine geistige Verfassung nicht beschreiben.«
    »Weshalb nicht?«
    »Weil ich zur Zeit sein geistlicher Berater bin, und alles, was er in meiner Gegenwart sagt oder tut, ist streng vertraulich. Ich kann nicht gegen Mr. Cayhall aussagen.«
    Roxburgh zögerte einen Moment. Offenbar versuchte er zu entscheiden, was er nun tun sollte. Es war offensichtlich, daß weder er noch seine gelehrten Untergebenen auch nur einen Gedanken auf diese Situation verschwendet hatten. Vielleicht hatten sie einfach als selbstverständlich angenommen, daß der Geistliche, weil er für den Staat arbeitete, auch mit ihnen kooperieren würde. Griffin wartete geduldig auf eine Attacke von Roxburgh.
    Slattery entschied die Angelegenheit rasch. »Ein sehr gutes Argument, Mr. Roxburgh. Dieser Zeuge sollte nicht hier sein. Wer ist der nächste?«
    »Keine weiteren Zeugen«, sagte der Justizminister, den es drängte, das Podium zu verlassen und zu seinem Platz zurückzukehren.
    Seine Ehren machte sich ausführliche Notizen, dann schaute er auf in den überfüllten Gerichtssaal. »Ich werde diese Sache gründlich erwägen und ein Urteil fällen, voraussichtlich morgen früh.

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