Die Kammer
Zeitungsfotos, die Schwarzweißaufnahmen aus dem Jahre 1967, als Sam verhaftet wurde, und die Zeitschriftenfotos, in Farbe, vom dritten Prozeß im Jahre 1981; und an die Fernsehaufzeichnungen, die er zu einem halbstündigen Video über Sam Cayhall zusammengeschnitten hatte. »Wie sieht er aus?«
Goodman legte seinen Stift auf den Tisch und befingerte seine Fliege. »Mittelgroß. Dünn - aber schließlich sieht man im Todestrakt nur selten einen Dicken -, Nervenbelastung und mageres Essen. Er ist Kettenraucher, was nichts Ungewöhnliches ist, weil die Leute sonst kaum etwas anderes tun können, und sterben müssen sie ohnehin. Irgendeine ausgefallene Marke, Montclair, glaube ich, in einer blauen Packung. Sein Haar ist grau und fettig, soweit ich mich erinnere. Die Männer können nicht jeden Tag duschen. Hinten ist es ziemlich lang, aber das war vor zwei Jahren. Es ist noch nicht viel davon ausgefallen. Grauer Bart. Er ist ziemlich verrunzelt, aber schließlich geht er auf die Siebzig zu. Dazu das starke Rauchen. Sie werden feststellen, daß die Weißen im Todestrakt schlimmer aussehen als die Schwarzen. Sie sind dreiundzwanzig Stunden am Tag eingesperrt, deshalb bleichen sie sozusagen aus. Er sieht also richtig blaß und kränklich aus, blaue Augen, gut geschnittenes Gesicht. Ich vermute, daß Sam Cayhall früher einmal ein gutaussehender Mann war.«
»Nachdem mein Vater gestorben war und ich die Wahrheit über Sam erfahren hatte, habe ich meiner Mutter eine Menge Fragen gestellt. Sie hatte nicht viele Antworten, aber sie hat mir einmal gesagt, daß es zwischen meinem Vater und Sam kaum äußerliche Ähnlichkeiten gab.«
»Und auch nicht zwischen Ihnen und Sam, wenn es das ist, worauf Sie hinauswollen.«
»Ja, vermutlich.«
»Er hat Sie nicht mehr gesehen, seit Sie ein Kleinkind waren, Adam. Er wird Sie nicht wiedererkennen. So leicht wird es nicht sein. Sie werden es ihm sagen müssen.«
Adam starrte auf den Tisch. »Sie haben recht. Wie wird er reagieren?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich nehme an, er wird zu bestürzt sein, um viel zu sagen. Aber er ist ein intelligenter Mann, ohne viel Schulbildung, aber ziemlich belesen und redegewandt. Er wird sich schon etwas einfallen lassen. Es könnte ein paar Minuten dauern.«
»Das hört sich an, als ob Sie ihn fast mögen.«
»Das tue ich nicht. Er ist ein fürchterlicher Rassist und Fanatiker und hat keinerlei Reue für seine Taten gezeigt.«
»Sie sind überzeugt, daß er schuldig ist.«
Goodman grunzte und lächelte vor sich hin, dann überlegte er sich eine Antwort. Drei Prozesse hatten stattgefunden, um die Schuld oder Unschuld von Sam Cayhall zu erweisen. Seit nunmehr neun Jahren war der Fall von einem Berufungsgericht ans andere weitergereicht und von vielen Richtern begutachtet worden. In zahllosen Zeitungs und Zeitschriftenartikeln war über das Bombenattentat und diejenigen, die dahintersteckten, geschrieben worden. »Die Geschworenen glauben es. Das ist vermutlich das einzige, was zählt.«
»Aber wie steht es mit Ihnen? Was glauben Sie?«
»Sie haben die Akten gelesen, Adam. Sie haben den Fall jahrelang recherchiert. Es besteht überhaupt kein Zweifel daran, daß Sam an dem Attentat beteiligt war.«
»Aber?«
»Es gibt eine Menge Aber. Die gibt es immer.«
»Nichts weist darauf hin, daß er schon früher mit Sprengstoff hantiert hatte.«
»Richtig. Aber er war ein Klan-Terrorist, und die haben gebombt wie die Irren. Sam wird verhaftet, und die Bombenattentate hören auf.«
»Aber ein Zeuge hat ausgesagt, daß er bei einem der Bombenanschläge vor Kramer in dem grünen Pontiac zwei Männer gesehen hat.«
»Richtig. Aber dem Zeugen wurde nicht gestattet, bei der Verhandlung auszusagen. Und der Zeuge hatte gerade um drei Uhr morgens eine Bar verlassen.«
»Aber ein anderer Zeuge, ein Lastwagenfahrer, behauptet, er hätte gesehen, wie Sam und ein anderer Mann ein paar Stunden vor dem Attentat in einem Restaurant in Cleveland zusammensaßen.«
»Richtig. Aber der Lastwagenfahrer hat drei Jahre geschwiegen, und auch ihm wurde nicht gestattet, im letzten Prozeß auszusagen. Zu weit hergeholt.«
»Und wer war Sams Komplize?«
»Ich bezweifle, daß wir das je erfahren werden. Vergessen Sie nicht, Adam, dieser Mann wurde dreimal vor Gericht gestellt, hat aber nie ausgesagt. Der Polizei hat er praktisch gar nichts gesagt, seinen Verteidigern nur sehr wenig, zu den Geschworenen kein einziges Wort, und auch wir haben in den letzten sieben Jahren nichts
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