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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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sind uns einmal begegnet, zufällig. Sie wußte, daß ich Lee Booth war, die Frau des berüchtigten Phelps Booth, aber das war auch alles. Es war eine elegante Party, bei der es darum ging, Spenden für das Ballett oder so etwas locker zu machen. Ich bin ihr nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen.«
    »Das muß eine kleine Stadt sein.«
    »Sie kann winzig sein. Wenn du sie nach Sam fragen könntest, was würde sie sagen?«
    Adam starrte auf die fernen Lichter. »Ich weiß es nicht. Ich habe gelesen, daß sie immer noch verbittert ist.«
    »Verbittert? Sie hat ihre gesamte Familie verloren. Sie hat nie wieder geheiratet. Glaubst du, für sie spielt es eine Rolle, ob Sam vorgehabt hat, ihre Kinder umzubringen? Natürlich nicht. Sie weiß nur, daß sie tot sind, Adam, seit zwanzig Jahren tot. Sie weiß, daß sie von einer Bombe getötet wurden, die mein Vater gelegt hat, und wenn er zu Hause gewesen wäre bei seiner Familie, anstatt mit seinen schwachsinnigen Genossen in der Nacht herumzufahren, dann wären die kleinen Jungen, Josh und John, noch am Leben. Sie wären jetzt achtundzwanzig Jahre alt, hätten wahrscheinlich studiert, wären verheiratet und hätten vielleicht ein oder zwei Kinder, mit denen Ruth und Marvin spielen könnten. Es interessiert sie nicht, für wen die Bombe bestimmt war, Adam, nur, daß sie gelegt wurde und explodierte. Ihre Kinder sind tot. Das ist alles, was zählt.«
    Lee kehrte zu ihrem Schaukelstuhl zurück. Sie ließ ihr Eis klirren und trank einen Schluck. »Versteh mich nicht falsch, Adam. Ich bin gegen die Todesstrafe. Ich bin vermutlich im ganzen Land die einzige fünfzigjährige weiße Frau, deren Vater in einer Todeszelle sitzt. Es ist barbarisch, unmoralisch, diskriminierend, grausam, unzivilisiert - ich unterschreibe jedes dieser Worte. Aber vergiß die Opfer nicht. Sie haben ein Recht darauf, Vergeltung zu erwarten. Sie haben sie verdient.«
    »Will Ruth Kramer Vergeltung?«
    »Ja, auf jeden Fall. Sie äußert sich nur noch selten der Presse gegenüber, aber sie arbeitet in verschiedenen Gruppen mit, die sich um die Opfer von Verbrechen kümmern. Vor ein paar Jahren wurde eine Bemerkung von ihr zitiert; sie soll gesagt haben, sie würde bei Sam Cayhalls Hinrichtung im Zeugenraum sitzen.«
    »Nicht gerade ein Zeichen von Vergebung.«
    »Ich kann mich nicht erinnern, daß mein Vater je um Vergebung gebeten hätte.«
    Adam drehte sich um und setzte sich mit dem Rücken zum Fluß auf die Brüstung. Er schaute zu den Gebäuden der Innenstadt hinüber, dann betrachtete er seine Füße. Lee trank einen weiteren großen Schluck.
    »Also, Tante Lee, was sollen wir tun?«
    »Bitte laß die Tante weg.«
    »Okay, Lee. Ich bin hier. Ich reise nicht wieder ab. Morgen besuche ich Sam, und wenn ich ihn verlasse, will ich sein Anwalt sein.«
    »Hast du vor, das geheimzuhalten?«
    »Die Tatsache, daß ich in Wirklichkeit ein Cayhall bin? Ich habe nicht vor, es irgend jemandem zu erzählen, aber es sollte mich überraschen, wenn es lange ein Geheimnis bleiben würde. Sam ist eine Berühmtheit unter den Insassen des Traktes. Die Presse dürfte ziemlich bald anfangen, gründliche Nachforschungen anzustellen.«
    Lee zog die Füße hoch und starrte auf den Fluß. »Wird es dir schaden?« fragte sie leise.
    »Natürlich nicht. Ich bin Anwalt. Anwälte verteidigen Kinderschänder und Mörder und Drogendealer und Vergewaltiger und Terroristen. Wir sind nicht gerade populär. Wie sollte mir die Tatsache schaden, daß er mein Großvater ist?«
    »Deine Firma weiß Bescheid?«
    »Ich habe es ihnen gestern gesagt. Sie waren nicht gerade entzückt, aber sie haben sich wieder beruhigt. Ich habe es ihnen verheimlicht, als sie mich eingestellt haben, und das war ein Fehler. Aber ich glaube, jetzt ist alles in bester Ordnung.«
    »Was ist, wenn er nein sagt?«
    »Dann kann uns nichts passieren, stimmt's? Niemand wird es je erfahren, und du bist in Sicherheit. Ich fahre nach Chicago zurück und warte darauf, daß CNN über das Volksfest um die Hinrichtung berichtet. Und ich bin sicher, daß ich an einem kühlen Tag im Herbst hinfahren, ein paar Blumen auf sein Grab legen und wahrscheinlich den Grabstein betrachten und mich zum soundsovielten Mal fragen werde, weshalb er es getan hat und weshalb er so ein erbärmlicher Mensch geworden ist und weshalb ich in eine derart unerfreuliche Familie hineingeboren wurde; du weißt schon, die Fragen, die ich mir seit Jahren immer wieder gestellt habe. Ich werde dich fragen, ob

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