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Die Kammer

Titel: Die Kammer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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gewöhnt sich dran. Halbwegs jedenfalls. Wir trinken Unmengen von Tee und bleiben im Haus. Wie geht es deiner Mutter?«
    »Sie ist immer noch in Portland. Jetzt mit einem Mann verheiratet, der im Holzhandel reich geworden ist. Ich habe ihn mal getroffen. Er dürfte fünfundsechzig sein, sieht aber aus wie siebzig. Sie ist siebenundvierzig und sieht aus wie vierzig. Ein hübsches Paar. Sie Jetten hierhin und dorthin, St. Barts, Südfrankreich, Mailand, zu all den Orten, an denen die Reichen sich sehen lassen müssen. Sie ist sehr glücklich. Ihre Kinder sind erwachsen. Eddie ist tot. Sie hat die Vergangenheit fein säuberlich weggesteckt. Und sie hat massenhaft Geld. In ihrem Leben steht alles zum Besten.«
    »Du bist zu hart.«
    »Ich bin zu nachsichtig. In Wirklichkeit will sie mich nicht um sich haben, weil ich ein schmerzhaftes Bindeglied zu meinem Vater und seiner unerfreulichen Familie bin.«
    »Deine Mutter liebt dich, Adam.«
    »Ich freue mich, das zu hören. Woher weißt du das?«
    »Ich weiß es einfach.«
    »Ich habe gar nicht gewußt, daß ihr beide, du und Mom, euch so nahesteht.«
    »Das tun wir nicht. Reg dich ab, Adam. Nimm's leicht.«
    »Entschuldige. Ich bin ein bißchen überdreht, das ist alles. Ich brauche einen stärkeren Drink.«
    »Entspann dich. Laß uns ein bißchen Spaß haben, solange du hier bist.«
    »Ich bin nicht zum Spaß hier, Tante Lee.«
    »Nenn mich einfach Lee, okay?«
    »Okay. Morgen fahre ich zu Sam.«
    Sie stellte behutsam ihr Glas auf den Tisch, dann stand sie auf und verließ die Terrasse. Sie kehrte mit einer Flasche Jack Daniels zurück und goß ein großzügig bemessenes Quantum in beide Gläser. Sie trank einen großen Schluck und starrte auf den Fluß. »Warum?« fragte sie schließlich.
    »Warum nicht? Weil er mein Großvater ist. Weil er bald sterben muß. Weil ich Anwalt bin und er Hilfe braucht.«
    »Er kennt dich nicht einmal.«
    »Morgen wird er mich kennenlernen.«
    »Du willst es ihm also sagen?«
    »Ja. Natürlich werde ich es ihm sagen. Kannst du dir das vorstellen? Ich werde tatsächlich ein tief vergrabenes, dunkles und unerfreuliches Cayhall-Geheimnis verraten. Wie findest du das?«
    Lee hielt ihr Glas mit beiden Händen und schüttelte langsam den Kopf. »Er wird sterben«, murmelte sie, ohne Adam anzusehen.
    »Noch nicht. Aber es ist schön zu wissen, daß es dich bekümmert.«
    »Es bekümmert mich.«
    »Natürlich. Wann warst du zum letztenmal bei ihm?«
    »Fang nicht damit an, Adam. Du verstehst das nicht.«
    »Na schön. Dann erklär es mir. Ich höre. Ich möchte es verstehen.«
    »Können wir nicht über etwas anderes reden? Ich bin einfach noch nicht so weit.«
    »Nein.«
    »Wir können später darüber reden. Ich verspreche es. Im Moment bin ich dazu noch nicht in der Lage. Ich dachte, wir könnten einfach eine Weile miteinander plaudern und lachen.«
    »Tut mir leid, Lee. Ich habe das Geplauder und die Geheimnisse satt. Ich habe keine Vergangenheit, weil mein Vater sie ausradiert hat. Ich will etwas über sie erfahren, Lee. Ich will wissen, wie schlimm sie wirklich ist.«
    »Sie ist fürchterlich«, flüsterte sie, fast wie im Selbstgespräch.
    »Okay. Ich bin jetzt erwachsen. Ich kann es verkraften. Mein Vater hat sich aus dem Staub gemacht, bevor er damit konfrontiert wurde, also ist jetzt leider niemand mehr da außer dir.«
    »Laß mir ein wenig Zeit.«
    »Wir haben keine Zeit. Ich werde ihm morgen gegenüberstehen.« Adam trank einen großen Schluck und wischte sich mit dem Ärmel die Lippen ab. »Vor dreiundzwanzig Jahren stand in Newsweek, daß auch Sams Vater dem Klan angehörte. Stimmt das?«
    »Ja. Mein Großvater.«
    »Und außerdem mehrere Onkel und Vettern.«
    »Der ganze verdammte Haufen.«
    »In Newsweek stand außerdem, daß in Ford County jedermann wußte, daß Sam Cayhall Anfang der fünfziger Jahre einen Schwarzen erschossen hat und deshalb nie vor Gericht gestellt wurde. Keinen einzigen Tag hätte er dafür im Gefängnis gesessen. Stimmt das?«
    »Was spielt das jetzt für eine Rolle, Adam. Das war Jahre vor deiner Geburt.«
    »Also ist es wirklich passiert?«
    »Ja, es ist passiert.«
    »Und du hast davon gewußt?«
    »Ich habe es gesehen.«
    »Du hast es gesehen?« Adam schloß die Augen, weil er das einfach nicht glauben konnte. Er atmete schwer und ließ sich tiefer in den Schaukelstuhl sinken. Das Tuten eines Schleppkahns erregte seine Aufmerksamkeit, und er folgte ihm flußabwärts, bis er unter einer Brücke

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