Die Kammer
Krebs hatte, und ich engagierte einen Privatdetektiv, der Eddie finden sollte. Er arbeitete sechs Monate, überreichte mir eine dicke Rechnung und fand nichts heraus.«
»Ich war damals neun Jahre alt und in der vierten Klasse, in Salem, Oregon.«
»Ja. Evelyn hat mir später erzählt, daß ihr eine Zeitlang in Oregon gelebt habt.«
»Wir waren ständig auf Achse. Bis zur achten Klasse habe ich jedes Jahr eine andere Schule besucht. Dann haben wir uns in Santa Monica niedergelassen.«
»Ihr wart spurlos verschwunden. Eddie muß einen guten Anwalt gehabt haben; es gab nicht die geringste Spur von Eddie Cayhall. Der Detektiv hat sogar ein paar Leute im Westen eingeschaltet, aber auch die haben nichts herausbekommen. «
»Wann ist sie gestorben?«
»Siebenundsiebzig. Wir saßen gerade in der Kirche, kurz vor Beginn des Gedenkgottesdienstes, als Eddie durch eine Nebentür hereingeschlichen kam und sich hinter mich setzte. Frag mich nicht, durch wen er von Mutters Tod erfahren hatte. Er tauchte einfach in Clanton auf, dann verschwand er wieder. Sprach kein Wort mit Sam. Er fuhr einen Mietwagen, damit niemand ihn anhand der Nummernschilder aufspüren konnte. Am nächsten Tag fuhr ich nach Memphis zurück, und da war er und wartete vor meinem Haus. Wir tranken zwei Stunden lang Kaffee und redeten über alles. Er hatte Schulfotos von dir und Carmen, alles war einfach wunderbar im sonnigen Südkalifornien. Guter Job, hübsches Haus in der Vorstadt. Evelyn verkaufte Grundstücke. Der amerikanische Traum. Sagte, er würde nie nach Mississippi zurückkehren, nicht einmal zu Sams Beerdigung. Nachdem ich ihm absolutes Stillschweigen gelobt hatte, verriet er mir den neuen Namen und gab mir seine Telefonnummer. Nicht seine Adresse, nur seine Telefonnummer. Wenn ich auch nur ein Wort verlauten ließe, drohte er, würde er einfach wieder verschwinden. Aber er sagte auch, ich sollte ihn niemals anrufen, außer in einem Notfall. Ich sagte ihm, ich würde dich und Carmen gern sehen, und er sagte, das würde ich auch, irgendwann mal. Manchmal war er der alte Eddie und dann wieder ein völlig anderer Mensch. Wir umarmten uns, und er winkte mir zum Abschied zu, und danach habe ich ihn nie wiedergesehen«
Adam drückte auf die Fernbedienung, und das Video lief weiter. Die scharfen, modernen Bilder des dritten und letzten Prozesses liefen schnell vorbei, und da war Sam, plötzlich dreizehn Jahre älter, mit einem neuen Anwalt, an einer Seitentür des Gerichts von Lakehouse County. »Bist du zu dem dritten Prozeß gefahren?«
»Nein. Er hat gesagt, ich sollte wegbleiben.«
Adam hielt das Video an. »Wann ist Sam bewußt geworden, daß sie wieder hinter ihm her waren?«
»Das ist schwer zu sagen. Eines Tages stand in der Zeitung von Memphis eine kleine Story über diesen neuen Staatsanwalt in Greenville, der den Kramer-Fall wieder aufnehmen wollte. Es war keine große Story, nur ein paar Absätze irgendwo in der Mitte der Zeitung. Ich erinnere mich, daß ich fassungslos war. Ich habe den Artikel zehnmal gelesen und ihn dann eine Stunde lang angestarrt. Nach all diesen Jahren stand der Name Sam Cayhall wieder in der Zeitung. Ich konnte es einfach nicht glauben. Ich rief ihn an, und natürlich hatte er den Artikel auch gelesen. Er sagte, ich sollte mir keine Sorgen machen. Ungefähr zwei Wochen später stand ein weiterer Artikel in der Zeitung, diesmal etwas größer, mit David McAllisters Gesicht in der Mitte. Ich rief Daddy an, er sagte, alles wäre in bester Ordnung. So hat es angefangen. Zuerst ganz harmlos, doch dann mit der Gewalt einer Dampfwalze. Die Familie Kramer unterstützte die Idee, dann ergriff auch die Nationale Vereinigung zur Unterstützung der Rechte farbiger Bürger Partei. Eines Tages war dann nicht mehr zu übersehen, daß McAllister entschlossen war, einen neuen Prozeß anzustrengen, und daß die Sache nicht einfach vorübergehen würde. Sam war angewidert, und er hatte Angst, aber er versuchte, sich tapfer zu geben. Er sagte, er hätte schon zwei Prozesse erfolgreich durchgestanden, das könnte er auch ein drittes Mal.«
»Hast du Eddie angerufen?«
»Ja. Sobald festzustehen schien, daß es eine neuerliche Anklage geben würde, habe ich ihn angerufen und ihn informiert. Er hat nicht viel gesagt, fast gar nichts. Es war ein kurzes Gespräch, und ich habe versprochen, ihn auf dem laufenden zu halten. Ich glaube, es hat ihn schwer getroffen. Es dauerte nicht lange, bis es zu einer nationalen Story wurde, und ich
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